Montag, 29. Februar 2016

Finnland-ABC - Teil 2, F wie Fotografische Malerei

F wie Fotografische Malerei oder Foto-Malerei oder Spielen mit der Kamera oder Bewegte Bilder oder Wischfotos oder... Fotos wie diese hier unten eben - ich nenne sie jetzt mal Foto-Malereien. Solche Fotos entstehen, wenn man die Belichtungszeit verlängert und die Kamera während der Belichtung bewegt. Je nach Bewegungsart, -dauer und -richtung entstehen andere Bilder. Diese Art von Fotografie hat keinen Namen und kennt keine Regeln, aber sie macht Spass. Die lichten Wälder mit ihren kerzengeraden Fichten und Birken sahen eh schon wie abstrakte Gemälde aus, monochrome, dunkle Linien auf weisser Fläche. Sie boten sich zu solchen Spielereien geradezu an.




Theres war die erste, die ein solches Foto an der abendlichen Bildbesprechung zeigte, und das gleich am ersten Abend. Ich kannte diese Form von Fotografie. Schliesslich habe ich den Fotokünstler am Workshop "Fotografische Malerei" kennengelernt. Ich weiss aber nicht, inwiefern die anderen Teilnehmer schon mal in die Richtung experimentiert hatten. Jedenfalls lag gespanntes Schweigen in der Luft, als Theres' Bild gezeigt wurde. Die Augen richteten sich auf den Chef, den Fotokünstler: Daumen rauf oder Daumen runter? Doch der verzog keine Miene, die Aufschluss über seine Meinung hätte geben können. In der Stille hörte man es denken: Was ist das denn? Ist das überhaupt noch Fotografie? Ist das Malerei? Darf man so etwas denn zeigen? Soll man das ernst nehmen?...



Als ich dann am nächsten Tag dieses hier oben in meine Auswahl aufnahm, war der Bogen definitiv überspannt. Wieder das gleiche Spiel wie am Vortag. Doch zu den Fragen mischte sich jetzt Entrüstung, welche die Stille schliesslich zum Platzen brachte und zum abschliessenden Kommentar eines Teilnehmers führte: "Für mich muss schon noch erkennbar sein, was da dargestellt wird, sonst ist es keine Fotografie".

Nicht erkennbar, was drauf ist? Keine Fotografie? Da das Bild aber mit der Fotokamera gemacht wurde, war es zwangsläufig eine Fotografie. Aber anscheinend doch nicht wirklich... Was also dann? Abstrakte Fotografie? Kunst? Spielerei? Spinnerei? ...Ratterratterratter...



Witzigerweise tauchten während des gesamten Kurses immer wieder Foto-Malereien auf. Kein Teilnehmer, der nicht auch mal probiert hätte, die Kamera zu bewegen und fasziniert von den Ergebnissen gewesen wäre. Fotografie oder Malerei oder Kunst oder einfach nur Spass-mit-der-Kamera-und-coole-Bilder? Wen kümmert's, wenn's gefällt?

Samstag, 20. Februar 2016

Finnland-ABC - Teil 1

A wie Ankommen: Ich bin zwar schon seit einer Woche aus Lappland zurück, richtig angekommen bin ich aber noch nicht. Ein Teil von mir ist immer noch in unserer gemütlichen Blockhütte, stapft mit Schneeschuhen durch die verschneiten Wälder, riecht den Rauch am knisternden Feuer, freut sich auf die köstlichen Suppen, mit der Tuula uns abends überrascht, und staunt über die schönen Fotos der Reisegefährten bei der abendlichen Bildbesprechung - zehn Personen, die alle dasselbe gesehen haben, und doch ist jedes Foto anders. Ich sehe das liebenswürdige Lächeln unseres Gastgebers Heikki vor mir, höre fasziniert dieser fröhlich klingenden Sprache zu, wenn die Finnen miteinander reden, ruhig und freundlich. Ich sehe die verschneiten Tannen kerzengerade im Wald stehen. Überall schneeweisser Schnee, nichts ist nicht schneebedeckt: die zugefrorenen Seen, die langen, geraden Strassen, der unendliche Wald. Die Landschaft ist ruhig und weit, die Menschen ebenso.



B wie das Blockhaus, in dem wir gewohnt haben. Blockhäuser gibt es viele in Lappland. Sie passen ja auch perfekt in diese märchenhafte Landschaft. Jetzt weiss ich, dass sie nicht nur romantisch aussehen, sondern auch total gemütlich sind. Ich war überrascht, wie gut sie gegen Kälte isolieren und wie angenehm das Raumklima ist. Vielleicht habe ich mir das eingebildet, aber ich hatte das Gefühl, dass ständig ein Hauch von Nadelholzduft in der Luft lag.



C wie Chris. Chris White war unser Tourenleiter vor Ort. Chris ist Keramiker und stammt aus England. Von da hat er auch seinen feinen Humor. Als junger Mann ist er nach Finnland ausgewandert und hängengeblieben, weil es ihm hier so gefiel. Er könnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben - "too many people", meint er. Chris lebt von seiner wunderbaren Keramik, von seiner Arbeit als Tourenführer und wohl von manch anderem Gelegenheitsjob.


Auf unserer letzten grossen Schneeschuhwanderung im Riisintunturi Nationalpark gerieten wir mitten in dichten Nebel. Wir wanderten weiter bergauf in einer immer irrealer werdenden Landschaft, umgeben von Trollen und Riesen, die langsam lebendig zu werden schienen. Alles war ruhig, auch wir wurden ruhiger. Es war magisch, wunderbar und gleichzeitig auch etwas unheimlich. Ich kam mir vor wie auf einem anderen Planeten.



Plötzlich war ich mir sicher, dass wir uns verlaufen hatten, und dass auch Chris nicht mehr wusste, wo wir waren. Er konnte es einfach nicht wissen, denn da war kein Weg mehr sichtbar, keine Markierung, kein irgendwelches Zeichen, das eine Orientierung ermöglicht hätte.



Die Landschaft war mystisch, Himmel und Erde flossen grenzenlos ineinander über, eingetaucht im gleichen grau-weissen, milchigen Licht, Kontouren waren keine mehr erkennbar, alles war vom Nebel verschluckt.



Aber nein, Chris wusste genau, was er tat, und kurz danach sassen wir tatsächlich wie angekündigt in der Berghütte am Feuer, das er für uns vorbereitet hatte, tranken den Kaffee, den er für uns gebraut hatte, und assen die Würste, die er für uns gegrillt hatte.



Der Mann ist so bescheiden, dabei hat er mit seiner Keramik schon etliche Preise gewonnen. Mitten auf der Tour erhielt er einen Telefonanruf. Er nahm kurz ab und entschuldigte sich anschliessend dafür, "business". Als ich ihn danach fragte, antwortete er, der Ministerpräsident habe für einen Staatsempfang als Geschenk für seine Gäste Teelichter bestellt - "it happens sometimes". Chris White Ceramics http://chriswhiteceramics.com


Freitag, 5. Februar 2016

Den Norden entdecken

Zu meinem runden Geburtstag gönne ich mir eine ganz besondere Reise. Ich, die es sonst in die Sonne und Hitze des Südens zieht, möchte dieses Jahr den Norden entdecken. Den hohen Norden. Den richtig hohen Norden.

Ich habe mich für eine Fotoreise nach Lappland, Finnland, angemeldet. Wenn schon, denn schon, und zwar gleich von Anfang an. In Rovaniemi, wo wir landen, verläuft nämlich erstens der nördliche Polarkreis genau durchs Flughafengebäude, und zweitens wohnt dort der Weihnachtsmann. Der Polarkreis liegt auf dem 66. Breitengrad und bildet die mathematische Grenze zwischen der gemässigten Klimazone und der Polarzone. Jenseits dieser Linie beginnt also die Arktis! Das nenne ich einen würdigen Reisebeginn für eine Entdeckung des Nordens.



Von Rovaniemi aus geht es gleich mit dem Auto weiter, vielleicht stundenlang, auf einer möglicherweise schnurgeraden Strasse, wahrscheinlich mitten durch dunkle, verschneite Wälder...  Zum Glück sind die Bären im Winterschlaf... Wenn jetzt das Auto ausfallen würde, oder ein Elch plötzlich die Strasse überqueren würde… Nicht auszudenken, wie schnell wir hier erfrieren würden, verloren in der weiten, verlassenen Landschaft an der Grenze zu Russland… James Bond kommt mir in den Sinn, Männer in weissen Tarnanzügen… Würden sie uns jetzt retten, statt gnadenlos die Kehle durchzuschneiden? Oder würden uns Samen finden und auf Rentierschlitten zu ihren Zelten führen? Und in den warmen, weichen Fellen liegend würde mein letzter Blick auf das wunderschöne Nordlicht am sternenfunkelnden Himmel fallen…



Fakt ist, dass ich keine Ahnung habe. Meine romantischen Vorstellungen reichen über die Bilder auf der Website des Gästehauses (http://www.oivanginlomakartano.fi/en) und die des Fotokünstlers (http://www.netzphoto.com/finnland-winter.html) nicht hinaus. Trotz Internet und Wikipedia weiss ich nicht, was mich erwarten wird. Wie fühlt sich das Leben “dort oben” an? Wie tief ist die Stille, wie weit die weite Landschaft? Wie dunkel ist die Nacht? Wie ist der Blick der Menschen? Wie schmeckt ihr Essen, ihr Wasser, ihr Bier? Wie klingt ihr Lachen und ihre Sprache, wie tönen ihre Lieder? Wie fühlt sich der Schnee an und der Wind?

Meine direkten Erfahrungen beschränken sich auf die Begegnung mit einem finnischen Au-Pair-Mädchen vor langer Zeit und auf die Filme von Aki Kaurismäki, die ich als Jugendliche so geliebt habe, mit ihrem lakonischen Humor, viel Melancholie, finnischem Tango und Schnaps. Ein bisschen mulmig ist mir schon wegen meiner Kälteempfindlichkeit, aber ich freue mich riesig auf die Entdeckungen, die mir keine App ersetzen kann.