Sonntag, 24. Januar 2016

Spaziergang in Weisslingen

"Den ganzen Juni, Juli und August kein Eintrag in Fotografie und drumrum? Schade!" meinte ein Freund letzten Herbst. Seit da ist nochmals ein halbes Jahr vergangen, und ich habe immer noch nichts Neues geschrieben.



Als ich mit dem Bloggen begonnen habe, hatte ich keine Leser. An die habe ich anfänglich noch gar nicht gedacht. Ich war damit beschäftigt, die neue Technik kennenzulernen, verschiedene Designs auszuprobieren und die kreativen Möglichkeiten dieser Kommunikationsform auszuloten. Erlebtes in Worte zu fassen und das Geschriebene mit Fotos zu kombinieren (und umgekehrt), war eine Herausforderung, die mir Spass machte. Ob das jemand ausser mir anschauen würde, war zweitrangig. Mit dem Fertigstellen und Publizieren eines Posts war jeweils mein Ziel erreicht. Was zählte waren Freude, Neugier und Kreativität.


Nach einer gewissen Zeit habe ich angefangen, Ambitionen zu entwickeln. Ich begann zu hoffen, dass sich vielleicht doch jemand für meinen Blog interessieren und meine Einträge lesen würde. Denn warum sollte man sonst soviel Zeit und Energie in etwas stecken?
Ich begann also, auf Zustimmung und Bestätigung von aussen zu warten, die meiner kreativen Tätigkeit sozusagen eine Berechtigung erteilen würden.


Und tatsächlich, nach einer gewissen Zeit begannen Leute, meine Einträge zu lesen. Das sah ich zunächst einmal an der Statistik. Nach jedem neuen Post gingen die Zahlen rauf. Insgesamt war die Anzahl Besucher zwar immer noch tief, aber die Kurve sah trotzdem beeindruckend aus! Ich freute mich und versuchte mir vorzustellen, wer diese Leser wohl sein könnten, hatte aber letztendlich keine Ahnung. Die Blogbesucher blieben anonym und irgendwie irreal, wie vieles in der virtuellen Welt.



Mit der Zeit stieg die Zahl der Leser an. Ich fühlte mich gebauchpinselt, mein Ego begann sich zu recken und zu strecken. Nun war mein Ehrgeiz geweckt. Also begann ich, auf meiner Facebook- und Flickr-Seite auf neue Posts hinzuweisen und ein bisschen Werbung zu machen. Das erhöhte die Besucherzahlen noch weiter.


Und dann begannen Leute, mich direkt auf meinen Blog an und auf einzelne Einträge anzusprechen. Auf einmal waren die Besucher keine anonymen Zahlen und Punkte in einer Statistikkurve mehr, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die ich kannte, denen ich begegnete, mit denen ich eine Beziehung hatte, die mir etwas bedeuteten. Und es waren auch Leser darunter, von denen ich überhaupt nicht gedacht hatte, dass sie meine Einträge sehen würden. Einerseits ehrte mich das natürlich, anderseits begann ich aber auch, einegewisse Verunsicherung und einen leichten Erwartungsdruck zu spüren.



Von da an war ich beim Verfassen meiner Foto-Texte nicht mehr alleine. Mit am Tisch sassen nun auch auch einige Arbeitskolleginnen, die Freundin aus Übersee, der ex-Liebhaber, ein ehemaliger Arbeitskollege, die wiedergefundene Sandkastenfreundin, die neu zugezogene Nachbarin, der beste Freund meines Freundes, hin und wieder meine Vorgesetzte, ab und zu ein Verwandter, meine Brief- bzw. Mail-Freundin und weitere nähere und entferntere Freunde und Bekannte. Alle drängten sich mit mir um den Computer, schauten mir beim Schreiben über die Schulter und diskutierten eifrig mit, taten ihre Meinung kund, begutachteten Sätze und Fotos, lobten und kritisierten. Was der einen gefiel, fand der andere schrecklich, währenddem es dem dritten gar nichts sagte und die vierte sich dabei zu Tode langweilte. Der fünfte diskutierte dabei mit dem sechsten über Sinn und Unsinn des Bloggens an und für sich, und der siebte hatte aus Protest den Raum schon verlassen.
Wohlverstanden, das ganze Theater passierte einzig und allein in meinem Kopf. Keiner war wirklich anwesend, von keinem wusste ich, was er oder sie wirklich dachte. Den Stress machte ich mir also ganz allein selber.



Und nun kann sich wohl jeder vorstellen, wieso ich seit bald einem Jahr nichts mehr veröffentlicht habe. Denn von nun an war nichts mehr gut genug: das Thema war zu langweilig, der Stil zu plump und angestrengt, der Inhalt heikel, die Fotos nicht schön genug, und das Ganze sowieso unpassend, unklug und peinlich.

Es ist so paradox! Je mehr ich auf den Blog angesprochen wurde, je mehr Leute ihn lasen, desto mehr freute ich mich. In gleichem Mass stiegen aber auch meine Zweifel, meine Unsicherheiten und meine Selbstverurteilung. Und obwohl ich wusste, dass ich mit meinen Blogeinträgen weder für den Nobelpreis kandidieren, noch in den Olymp der Literaten und Philosophen aufsteigen wollte, stiegen letztendlich die Ansprüche, die ich an mich selber setzte, dermassen an, dass ich mich völlig blockierte.

Und je mehr Zeit verging, desto höher wurde die Hürde. Ich schrieb viele Posts, die ich aber nicht fertigmachte, weil sie in meinen Augen nicht mehr genügten, weil ich die Menschen vor mir sah, die das lesen würden und mir vorstellte, was sie sich dabei denken würden, weil ich mich vom vermeintlichen Urteil anderer einschüchtern liess. In Wirklichkeit waren es meine eigenen Zweifel, Ängste, Urteile und Unzulänglichkeitsgefühle, von denen ich mich lähmen liess.

Zurück zum Start also. Ich beginne wieder so zu schreiben und zu veröffentlichen, wie ich begonnen habe: Aus einem inneren Bedürfnis heraus, mich auszudrücken, aus Freude am kreativen Prozess, am Schreiben und Fotografieren, aus Neugier und Spass an der Technik und den modernen Kommunikationsformen. Diese Momente der Kreativität festzuhalten, gibt mir ein Gefühl tiefer Befriedigung und Freude. Kurzum: Es macht mir einfach Spass!



Wie ich diese Krise plötzlich überwunden habe? Ich habe sie nicht plötzlich überwunden, es war ein längerer Weg. Ich habe Postentwürfe geschrieben, auch wenn ich sie nicht veröffentlicht habe. Ich habe mit dem Fotokünstler und mit Freunden darüber gesprochen, um Rat gefragt, Ratgeber gelesen ("Big Magic" von Elizabeth Gilbert - danke Hiltrud!), bin drangeblieben, habe meine Gedanken im Kreis drehen lassen, habe mich bemüht, meditiert, bin spazierengegangen und habe versucht, mich von allen Erwartungen und Ansprüchen zu lösen. Bis mir klarwurde, dass ich diesen Blog - und die Fotografie, und das Schreiben, und das Harfespielen, und das Lernen und Entdecken und Erforschen der Welt und all das, was meine Leidenschaft weckt - für niemand anderen mache als für mich selber. Es braucht keine Erlaubnis von aussen dafür, es gibt keine Berechtigung. Es braucht keinen anderen Sinn und Zweck zu haben, als mir Freude und Befriedigung zu bereiten und mein eigenes Leben zu bereichern. Und wenn ich das mit jemandem teilen kann, wenn ich damit anderen eine Freude machen kann, oder mancher gar eine Anregung darin finden, ist das wunderbar, und wenn nicht - ist es genauso wunderbar.