Sonntag, 14. Dezember 2014

Spaziergang im Nebel - Mordor

Nun ist er da, hat sich eingeschlichen, unauffällig, unaufgeregt, aber definitiv: der Winter. Oder Mordor, wie ich diese lange, dunkle Jahreszeit nenne. Wer "Herr der Ringe" kennt, weiss, was ich meine. Selbstverständlich kann der Winter wunderschön sein, in den Bergen, wenn es Schnee hat. Doch hier bei uns ist er einfach nur ein langer, dunkler, feucht-kalter Tunnel, der ungefähr eine Woche nach der Umstellung auf die Winterzeit beginnt und im Mai endet, wenn wir die dicken Winterjacken definitiv verstauen können. Bis die Sonne das Zepter wieder in die Hand nimmt und die Farben erstrahlen lässt, dominiert Dauergrau die Tage, Wochen, Monate.



Trüb und kalt ist es auch heute. Schon seit über zwei Wochen dringt kein einziger Sonnenstrahl durch die dichte Hochnebeldecke. Am liebsten würde ich mich auch heute drinnen verkriechen und erst im Frühling wieder rauskommen. Doch ich bin kein Bär, und aus persönlicher Erfahrung weiss ich, wie wichtig es ist, ans Licht zu gehen, auch wenn es noch so ungemütlich ist. Also raffe ich mich auf zu einem Spaziergang.



Kein Mensch ist unterwegs. Die Welt erscheint mir trostlos, farblos, unangenehm. Einzig das Grün der Wiese bietet dem Grau noch die Stirn. Den Hang hoch fällt mir das Gehen schwer, auf dem matschigen Wanderweg rutsche ich immer wieder aus. Unbewusst schlage ich ein schnelles Tempo an, vielleicht wegen der durchdringenden Kälte, vielleicht auch, um den Spaziergang möglichst schnell hinter mich zu bringen. Dick eingepackt wie ich bin, komme ich schnell ins Schwitzen und ausser Atem. So bringt das nichts. Ich entscheide mich, das beste draus zu machen und mich auf die Welt, wie sie ist, einzulassen: Ich gehe langsamer und beginne, auf meine Umgebung zu achten, sie mit einem unvoreingenommenen, neugierigen Blick wahrzunehmen. Vielleicht gibt es ja doch noch etwas Schönes und Erfreuliches zu entdecken...


Ich gehe weiter den Weg hoch, in den Wald hinein. Um mich herum wird der Nebel dichter. Ich bleibe stehen, um zu riechen. Die Düfte sind viel spärlicher geworden, verschluckt von der kalten Feuchtigkeit. Doch da, unüberriechbar, der scharfe Geruch eines Fuchses! Unter meinen Füssen rascheln die Blätter, leiser als im Herbst. Ein paar Meter weiter noch, dann bin ich oben.




Da stehe ich plötzlich mitten in einem Märchenwald aus zarten Grautönen. Die schlanken Stämme der blätterlosen Bäumen und die feingliedrigen Zweige der Nadelhölzer verlieren im Nebel ihre Dreidimensionalität. Der Wald präsentiert sich mir heute als asiatische Tuschmalerei. Ich bleibe stehen, schaue und freue mich über dieses überraschende Geschenk.
Und wieder ist da diese Stille, die Ruhe und Weite, wie ich sie hier so oft spüre. Jeder Atemzug füllt meinen Körper und meine Seele mit positiver Energie auf. Ich erlebe das hier immer wieder, egal welches Wetter und welche Jahreszeit gerade ist. Immer wieder lässt mich die Natur eine grössere Dimension erahnen, die oft vergessen geht in unserem Alltag mit seinen Sorgen und Wünschen. In diesem Moment ist das alles weit weg, klein und völlig unbedeutend. Diese Stille, dieser weite Raum ist so viel grösser als das alles, und er ist immer da. Hier spüre ich ihn, wenn ich mich einlasse.



Warum nur muss ich mich immer so überwinden, in die Natur zu gehen? Hält sie doch jedesmal ein paar unerwartete Geschenke für mich bereit und bereichert mich immer wieder von neuem mit diesem Gefühl von Weite und Glück.

Sonntag, 7. Dezember 2014

Spaziergang in Weisslingen - Nebel

Spätherbst - Zeit der trüben, grauen, nass-kalten Tage. Gar nicht mein Ding.
Als ich mich endlich doch noch überwinde rauszugehen, stelle ich überrascht fest, dass es gar nicht so kalt ist, wie ich erwartet habe. Und trüb ist es auch nicht, sondern weiss... Ich bin umgeben von einer weissen Wand aus dichtem Nebel, die alles, was weiter als ein paar Meter ist, verschluckt.


Nebel - ein seltenes Naturphänomen. Hochnebel ja, das kennen wir gut im Schweizerischen Mittelland. Den ganzen Winter über setzt er sich über unseren Köpfen fest und drückt auf Temperatur, Licht und Laune, während darüber das schönste Wetter herrscht. Weisslingen liegt auf einer Hügelkuppe, und diese wenigen Höhenmeter machen oft den Unterschied aus, so dass hier  meist die Sonne scheint, während weiter unten das Land im tristen Grau versinkt. Doch heute ist Weisslingen weder unterhalb noch oberhalb der Nebelgrenze, sondern genau mitten drin.



Es ist still, stiller als sonst an einem Sonntagmorgen. Der Nebel hat alles in Watte gepackt. Geräusche dringen nur gedämpft zu mir durch, und auch ich bewege mich ruhig und leise, um diese Stille nicht zu stören. Die Feuchtigkeit hängt dick in der Luft und sammelt sich als Tropfen an Blättern und Ästen.
Auch der Wald ist von dieser ungewöhnlichen Stille erfüllt. Ein unerwartetes, überraschend fröhliches Vogelgezwitscher bringt mich in die Realität zurück.



Der Nebel lässt eine völlig veränderte Landschaft vor meinen Augen entstehen. Der Wald ist verschwunden! Nur andeutungsweise schimmert er durch das dichte Weiss vor mir hindurch. Der Nebel verzaubert, indem er verhüllt, was mir sonst so vertraut ist. Was mir immer so fest, stabil und unverrückbar erscheint, ist einfach nicht mehr da. Ganze Landstriche zaubert der Nebel kurzerhand weg, zeichnet die harten Konturen weich und verwandelt dreidimensionale Figuren - Menschen, Tiere, Bäume - in ebenmässige, gräulich-weisse Flächen.



Als ich ans Ufer des Weihers trete, erschrecke ich: Ein Reiher fliegt auf, keine zwei Meter neben mir. Schade! Ich war anscheinend doch nicht leise genug... Ich bleibe stehen, schaue um mich. Ich atme die feuchte Luft ein, spüre sie sanft auf meiner Haut und in meinem Haar. Ich schaue in das undurchdringliche Weiss hinein, erkenne schemenhaft die hohen Bäume am gegenüberliegenden Ufer. Ich lausche in die Stille hinein. Staune ergriffen.


Plötzlich ein Knall neben mir im Dickicht, ein Lärm, den ich nicht einordnen kann. Kein Mensch tönt so, kein Tier. Mit klopfendem Herzen mache ich einen beherzten Schritt in die Richtung, aus dem das Geräusch gekommen ist: Wieder fliegt ein Reiher davon - derselbe von vorhin, er war wieder zurückgekommen! Der Knall war das Plumpsen seines Körpers im seichten Wasser, wieder nur wenige Meter neben mir. Kurz ärgere ich mich über meine zweite verpasste Chance für eine intime Beobachtung und womöglich sogar ein Foto...



Ein wenig bleibe ich noch stehen, doch ein drittes Mal kommt der Reiher nicht mehr zurück. Vielleicht bräuchte ich mehr Geduld, aber ich mag nicht mehr warten. Ich bin jetzt schon eineinhalb Stunden unterwegs. Obwohl ich gar nicht bemerkt habe, wie schnell die Zeit vergangen ist, versunken wie ich war in diesem magischen Schauspiel, spüre ich jetzt meine klammen Finger. Zeit, nach Hause zu gehen, in die gemütliche Stube, zu Kerzenlicht und wärmendem Tee. Erfüllt von einem tiefen Glücksgefühl trete ich den Heimweg über die Felder an.


Gegen Schluss öffnet sich die Nebeldecke ansatzweise und lässt für einige kurze Momente den Blick frei auf einen strahlend blauen Himmel.



Mittwoch, 5. November 2014

Ein schöner Herbst

Es ist die Zeit der spannenden Kunstwerke auf Strassen und Trottoirs, komponiert von der Feuchtigkeit des Nebels und einer unendlichen Anzahl Blätter in den unterschiedlichsten Farben und Verwesungsstadien. Es ist die Zeit der bunten Wälder, des goldenen Lichts und der weiten Himmel. Es ist auch immer noch die Zeit der kraftvollen Sonne und der - immer wieder - vielleicht letzten Sonnentage.






Zeit der Ernte. Zeit, das Jahr Revue passieren zu lassen. Zeit, die Fotos zu sortieren, auszumisten, zu ordnen und zu archivieren. Es ist - wieder - so viel passiert im vergangenen Jahr: Viele Erinnerungen, die noch verarbeitet werden, viele Erfahrungen, die sich noch setzen müssen.

Wieviel einfacher wäre es, alles einfach zu vergessen, meint Hiltrud. Wie recht sie hat. Und wie schade es wäre.



Hiltrud ist meine Miksang-Freundin aus Düsseldorf, https://miksang7grad.wordpress.com


Mittwoch, 29. Oktober 2014

Gelebte Tradition in Oberbayern

Ich sitze im Zug nach München. Kaum haben wir die Grenze zu Deutschland überquert, bemerke ich erstaunt, dass der Minibar-Verkäufer einen spitzen, grauen Filzhut aufgesetzt hat, ähnlich wie der von Gandalf in "Herr der Ringe". Als ich dann aber auch den Bierhahn entdecke, der jetzt anstelle der Kaffeemaschine auf dem Imbisswagen thront, fällt der Groschen: Ja klar, es ist wieder Oktoberfest in München!
Die damit verbundenen Bilder und Gedanken sind negativer Art: tief ausgeschnittene Dirndl in den knalligsten Farben und Lederhosen aus dem Aldi, stundenlanges Anstehen vor dem Gedränge in den Festzelten, grölende Gruppen betrunkener Jugendlicher, hektoliterweise überteuertes Bier und knapp eine Million verspeiste Tiere, Busladungen von Touristen, die sich unter dem Deckmantel der Tradition volllaufen und abzocken lassen, und Servierpersonal, das mit Bayern nichts verbindet ausser Geschäftstüchtigkeit. Tradition und Folklore als Modegag und organisiertes Massenbesäufnis. Wen wundert's, dass echte Münchner kaum mehr hingehen, denn mit Volksfest hat das nichts mehr zu tun.  Ich bin froh, als mein Regionalzug den Hauptbahnhof in Richtung Salzburg verlässt.



Wie unterschiedlich erlebe ich, nur einen Tag später, ein anderes Volksfest in Bayern: Es ist Almkirta (Alm-Kirchtag) in Ruhpolding, Oberbayern.


Auf der Waldlichtung blicke ich den ganzen Tag in freundliche Gesichter und strahlende Augen. Ganze Familien sind da, Freunde treffen sich, Jung und Alt hat sich herausgeputzt für den Anlass,  selbstverständlich in Tracht, wie das hier üblich ist. Diese Trachten haben immer noch ihre ursprünglich historisch-kulturelle Bedeutung; die Lederhose ist aus Hirschleder, vom Grossvater eigenhändig geschossen, und an den Enkel vererbt.


Auf dem Podium spielt eine traditionelle bayerische Blasmusik, bestehend aus gestandenen Männern. Daneben gibt es aber noch zahlreiche kleinere Volksmusikgruppen, verteilt auf dem ganzen Festgelände. Und erstaunlicherweise sitzen an den Harfen und Hackbrettern praktisch ausschliesslich Jugendliche und Kinder.

 Wie die anderen schauen wir den Darbietungen der Trachtengruppe zu und bewundern die Goasslschnalzer und Schuhplattler und wie sie alle heissen - übrigens auch diese fast ausschliesslich Kinder und Jugendliche. Dazwischen besuchen wir die Ausstellung der lokalen Naturkünstler und  spazieren immer wieder mal an den Handwerkerständen vorbei. Der Fotokünstler liebäugelt mit einer handgeschmiedeten Glocke, ich erstehe eine wunderschöne kleine Tonschale. Dann setzen wir uns wieder an die Sonne, kommen mit den Leuten ins Gespräch und geniessen das gemütliche Beinandersein.


Und natürlich fotografieren wir, denn es gibt ja Motive ohne Ende. Mir präsentieren sich Szenen wie aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit, lebendige Gemälde aus einem Bilderbuch.




Zuletzt gibt's noch eine Versteigerung von frisch gebackenen Brotlaiben. Der Versteigerer hört dabei immer bei fünf Euro auf, nach weiteren Geboten aufzufordern. Dabei bin ich sicher, dass die Besucher noch mehr bieten würden. Doch Begriffe wie Maximalgewinn und Konkurrenzkampf passen nicht hierher - Anstand und Würde sind hier noch die wichtigsten Werte.


Wie teuer das Bier ist, weiss ich nicht, da wir keins getrunken haben. Brathendl sucht man vergebens, dafür gibt's selbstgemachte Kuchen, Brote mit Almkäse und Flammkuchen frisch aus dem Holzofen. Und obwohl auch Bier verkauft wird, sehe ich den ganzen Tag keinen einzigen Betrunkenen.


Am späteren Nachmittag brechen dann alle langsam wieder auf, bereichert um ein Fest, wo das gefeiert und erneuert wurde, was die Menschen hier verbindet und zusammenhält: Brauchtum und Tradition, wahrhafte Volkskultur, die immer noch tief verankert ist in der bayerischen Gesellschaft.


Ein Stück heile Welt? Klar. Auch vor Ruhpolding machen Globalisierung und Moderne nicht Halt. Doch an diesem märchenhaften Tag spüren wir, wie wichtig Kultur und Tradition für eine Gesellschaft sind, sofern sie authentisch gelebt, erneuert und weitergegeben werden, und wieviel Kraft, Stärke und Zusammenhalt sie den Menschen geben kann, wenn sie gepflegt werden.



Mehr Fotos von diesem Anlass auf meiner Flickr-Seite: https://www.flickr.com/photos/dianamicelli/

Sonntag, 14. September 2014

Sehnsucht II (Rolf)

Die Nächte werden länger, die Tage sind öfter grau und trüb. Nebel verhüllt am Morgen die Felder. In den Bäumen hängen die Äpfel, Birnen und Zwetschgen schon gross und schwer. Die Nachbarn haben ein Netz um die blauen Trauben gespannt. Ein kühler Wind weht die abgestorbenen Blätter von der Linde, in immer grösseren Mengen. Unübersehbar ist der Herbst schon da.



"Sehnst du dich nicht manchmal nach deiner Zeit auf dem Meer, nach der Wärme, der Sonne und dem lockeren Leben dort?", frage ich Rolf.

"Ach," antwortet er mir, "sehnt sich denn nicht jeder nach irgendetwas?"



Rolf ist mein Nachbar und Vermieter, lebenserfahren, weise, kreativ. Ein Lebenskünstler. Mit 67 ist er in die USA gereist und von dort aus mit einem Freund ein paar Jahre lang auf einem Katamaran die Küsten Mittelamerikas entlanggetuckert.


Donnerstag, 28. August 2014

Sehnsucht

Sehnsucht nach Sonne und Wärme, nach flirrender Luft über dem Feldweg, nach den Schreien der Milanpaare, wenn sie majestästisch ihre Kreise ziehen, unablässig Wiesen und Äcker absuchend.


Sehnsucht nach dem Duft von frisch gemähtem Gras, dem Zischen der Sense, nach Hitze und Durst, nach den unendlich vielen Schattierungen von Grün, wohin das Auge reicht, nach Pinienduft und Blumenwiesen, nach Vogelgesang im Wald und dem Zirpen der Grillen.
Sehnsucht nach warmer Luft auf der nackten Haut, nach sanftem Licht, das durch die Ritzen der halb geschlossenen Rollläden ins Zimmer dringt, nach frischer Bettwäsche, die nach Sonne und Sommer duftet.


Sehnsucht nach der Stille in der Mittagshitze, dem kühlen Glas Weisswein, nach belanglosen Gesprächen in den Gärten, nach Flipflops, Heiterkeit und fröhlichen Blicken in den Gesichtern der Menschen.
Sehnsucht nach knirschendem Kies, nach Stimmengewirr, lautem Lachen, Tellergeklapper und Gläsergeklirr, nach bunten Lichtern und sinnlichen Düften in der lauen Nacht.


Sehnsucht nach dem Rascheln von Palmblättern im Wind, nach Sand zwischen den Fingern, nach brennender Haut und dem Geschmack von Salz auf den Lippen, nach bemalten Zehen im kristallklaren Wasser, nach dem sanften Rauschen des unermüdlichen Wellenspiels, nach tiefblauem Himmel, roten Sonnenuntergängen, nach der Weite des Meeres.



Sehnsucht nach Freiheit, nach Leichtigkeit, nach Unendlichkeit. Sehnsucht nach der Zeitlosigkeit eines Moments absoluten Glücks.


Freitag, 1. August 2014

Viel zu berichten

Es ist schon merkwürdig... Als ich letzten Herbst meinen Ellbogen gebrochen habe und fast zwei Monate lang arbeitsunfähig war, als ich nur für die Physiotherapie nach Zürich fuhr und sonst das Dorf kaum je verlassen habe, als sich meine Aktivitäten auf Nahrungsaufnahme, Hygiene und Rehabilitationsmassnahmen beschränkten, da hatte ich viel zu sagen, persönlich und hier im Blog. Ich hatte Lust und Freude an Gesprächen mit Bekannten und Fremden, und mir fielen immer wieder Themen ein, worüber ich schreiben wollte. Im Aussen lief so gut wie nichts, doch aus meinem Innern sprudelte es nur so.


 Jetzt, ein Dreiviertel Jahr später, fliesst es aus meiner inneren Quelle nur noch tröpfchenweise. Und das obwohl seit einigen Monaten die Post abgeht, wie wir in der Schweiz sagen: Ein Abenteuer folgt dem nächsten - eine Einladung zu einem rauschenden Fest, ein zweiter Spitalaufenthalt, Reisen rund um die Welt, der Abschluss meiner Miksang-Ausbildung, Entdecken neuer Gegenden, Kennenlernen neuer Freunde, Arbeiten, Fotografieren, Träumen und Planen. Ich habe viel Spass und erlebe so viel Wunderbares. Und doch...


Ich habe das Gefühl, ich hätte trotz allem nichts zu sagen. Ich sitze hier und weiss nicht recht, wohin mit mir. Meine Gedanken flattern verwirrt herum und finden keinen Anker, um sich daran festzuhalten. Meine Kreativität ist ausgebremst, meine innere Quelle ein dürftiger Rinnsal, meine Freude gedämpft. Viel zu unternehmen und zu erleben bedeutet nicht unbedingt, dass man nachher mehr zu sagen hat. Viel zu erzählen haben ist eben nicht gleich viel zu sagen haben. Das zumindest habe ich jetzt erkannt. Schliessen sich Aktivität und Kontemplation aus?


Vielleicht braucht meine Seele einfach mehr Zeit und Raum, um all das Erlebte zu verdauen. Der Drang ist gross, der inneren Unruhe und Leere zu entfliehen, durch noch mehr Aktivitäten und Ablenkungen. Aber ich weiss, dass das letztendlich auch nichts bringt. Stattdessen werde ich mich der Leere stellen, mich langsam wieder mit der Stille anfreunden, mich an den Rand der Quelle setzen und einfach warten. Bis irgendwann der Moment kommt, wo es wieder anfängt zu murmeln, zu gluckern und zu plätschern.


Mittwoch, 26. März 2014

Pendlerströme (Entfremdung II)

Eingepfercht mit Hunderten anderer
Unbekannten
im Zug, Bus, Tram
Pendlerstrom
unterwegs in die Stadt.
Derselbe abgekämpfte Gesichtsausdruck
abwesend, abweisend, abgelöscht
die Gedanken weit weg
in einer anderen Welt
Nur nicht hier,
nur nicht jetzt.


Müde am Morgen hin,
erschöpft und ausgelaugt abends zurück.

Und dazwischen?
Eine Arbeit, die sie nicht mögen
nie machen wollten
und trotzdem nicht verlieren möchten
dankbar für die Sicherheit
das Haus im Grünen
die Ferienwoche im Schnee
das freie Wochenende
zum Sicherholen, Sichbesaufen, Zuzudröhnen
und langsam wieder zu sich zu finden.


Bis am Montagmorgen
der Pendlerstrom wieder beginnt


(Mehr Bilder von meinen täglichen Pendelreisen in meinem Flickr-Album https://www.flickr.com/photos/dianamicelli/sets/72157642960438305/)

Mittwoch, 26. Februar 2014

Frühlingsboten - Spaziergang in Weisslingen

Während ich hier oben am Waldrand sitze und die wärmende Sonne geniesse, gebe ich mein Warten auf den "richtigen Winter" definitiv auf. Auch wenn es noch etwas Schnee geben sollte, wäre es doch nur noch ein kurzes Intermezzo, denn der Frühlingsbeginn ist schon voll im Gange. Ich höre es hinter mir im Wald, wo es in den unterschiedlichsten Tonarten pfeift und flötet, im Laub raschelt und an Baumstämme hämmert. Greifvögel kreisen wieder paarweise über den Feldern, begleitet von ihren klagenden Schreien, und zwischen den Tannen kämpfen flatternd drei Krähen um Territorium oder Liebe.



Auch die Menschen bereiten sich vor: Der Mais auf den Feldern ist schon erstaunlich weit gewachsen, die Gartenbeete sind vorbereitet, die letzten Winterdekorationen von den Fensterbrettern verschwunden. Als Nero sich vorhin dem Biotop genähert hat, entstanden kurz einige kreisrunde Wellen auf der Wasseroberfläche. Ein erster Frosch am Laichplatz? Die Froschschutznetze stehen jedenfalls schon seit einigen Wochen bereit.



Noch traut man ihr aber nicht ganz, der neuen Jahreszeit.



Gemütlich sitze ich hier, geniesse die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht und die Ruhe des friedlichen Sonntagmorgens. In der Ferne erkenne ich das gelbe Postauto, wie es in Richtung Pfäffikon fährt, klein und niedlich wie ein Spielzeugauto. Heute vor einer Woche, als ich Sonntagsdienst hatte, fuhr ich mit. Heute aber freue ich mich, dass ich nicht mit muss, sondern hier oben sitzen und meinen Blick über die Hochebene schweifen lassen darf.



Auch wenn ich es bedaure, dieses Jahr keinen Bilderbuchwinter erlebt zu haben, so spüre ich jetzt doch auch eine angenehme Entspannung und Erleichterung über den nahenden Frühling. Es fühlt sich an, als würde eine Eiskruste an der Sonne schmelzen, um den Weg zu Weite und Wärme freizumachen.