Mittwoch, 7. Dezember 2016

Spaziergang in Weisslingen - Advent

Düstere Tage, grau, feucht. Die Augen brennen von der Computerarbeit, dem künstlichen Licht und der trockenen Luft in geschlossenen Räumen. Deshalb zieht es mich jetzt raus an die frische Luft und ans Tageslicht, trotz Kälte und schlechtem Wetter. Doch draussen ist es kaum heller als drinnen, da hilft alles Blinzeln und Brilleputzen nicht. Es ist und bleibt düster. Eine dichte Hochnebeldecke und darüber graue Wolken lassen keinen Sonnenstrahl durch. Immerhin ist es nicht so kalt wie erwartet. Die leichte Jacke reicht. Ich schnüre meine Wanderschuhe und ziehe los.


Kein Mensch weit und breit, obwohl es Sonntagnachmittag ist. Die Düsternis lockt heute keinen hinter dem Ofen hervor. Auch die Tiere scheinen sich zurückgezogen zu haben. Kein Vogelsang ist zu hören, kein Zwitschern und auch kein Rascheln im Laub. Kein Muhen, kein Bellen, kein Ziegengemecker. Kein Kindergeschrei, kein Autorauschen in der Ferne, ja noch nicht einmal das leise Grollen eines Flugzeugs am Himmel. Rundum absolute Stille.


Ich staune jedes Mal, wie schnell sich alles verändert. Als ich das letzte Mal diesen Weg gegangen bin, knackten und raschelten die abgefallenen Blätter fröhlich unter meinen Schritten. Nun ist das Laub bereits zu einer braunen Masse zusammengefallen, die nass und schwer auf dem Weg liegt. Der Zersetzungsprozess hat bereits eingesetzt. Wie Skelette ragen jetzt die kahlen Äste in den grauen Himmel. Die bunten Herbstfarben haben nun den monochromatischen Farbtönen des Winters Platz gemacht: Braun, Grau und dunkles Grün dominieren die Landschaft.


Alles um mich spricht von Rückzug und Reduktion, von Verwesung, Tod und Vergänglichkeit. Doch das hat nichts zu bedeuten, denn Tod, so wie wir ihn verstehen, gibt es in der Natur nicht. Der Tod ist nur eine weitere Form der Veränderung im ewigen Kreislauf des Lebens. Die toten Blätter sind schon dabei, den Humus zu bilden für das neue Leben, das in Kürze wieder entstehen wird.

Ich gehe lange durch den Wald, bin fasziniert von der Stille und den zerfallenden Formen der Pflanzen. Ich komme mir vor wie in einem Märchenwald, den ich ganz für mich habe, fühle mich ausserhalb von Raum und Zeit. Auf einmal drückt das Abendlicht durch und färbt alles mit einem warmen, rotgoldenen Farbstich ein. Ich schaue verwundert in den Himmel, der nach wie vor grau ist. Woher kommt das Licht? Ein paar Minuten nur dauert dieser Zauber, dann verschwindet das goldene Licht wieder ins Nichts. Augenblicklich setzt darauf die blau-schwarze Nacht ein, und mit ihr kommt kalter Wind auf. Meine Kamera blinkt verzweifelt "Mehr Licht! Mehr Licht!". Zeit, nach Hause zu gehen.




Als es schon fast ganz dunkel ist, höre ich plötzlich laute Geräusche hinter den Tannen. Die Pferdefrau führt ihren alten Hengst und das Shetland-Pony spazieren. Ich erkenne sie von weitem. In der Dunkelheit sieht sie mich nicht. Wenig später überholt mich ein Pärchen, das wohl ebenfalls noch etwas frische Luft schnappen wollte. Diese Lebenszeichen haben jetzt etwas Tröstliches und Heimeliges. Ich bin also doch nicht ganz alleine im Zauberwald. Am Waldrand angekommen, schaue ich auf das Dorf hinunter, wo die Strassenlaternen angegangen sind. In vielen Fenstern brennt warmes Licht, und einige Häuser sind bereits mit weihnächtlichen Lichterketten geschmückt. Als ich den Hang hinuntergehe, begleitet mich der melodiöse Gesang eines Nachtvogels auf meinem Weg.