Mittwoch, 7. Dezember 2016

Spaziergang in Weisslingen - Advent

Düstere Tage, grau, feucht. Die Augen brennen von der Computerarbeit, dem künstlichen Licht und der trockenen Luft in geschlossenen Räumen. Deshalb zieht es mich jetzt raus an die frische Luft und ans Tageslicht, trotz Kälte und schlechtem Wetter. Doch draussen ist es kaum heller als drinnen, da hilft alles Blinzeln und Brilleputzen nicht. Es ist und bleibt düster. Eine dichte Hochnebeldecke und darüber graue Wolken lassen keinen Sonnenstrahl durch. Immerhin ist es nicht so kalt wie erwartet. Die leichte Jacke reicht. Ich schnüre meine Wanderschuhe und ziehe los.


Kein Mensch weit und breit, obwohl es Sonntagnachmittag ist. Die Düsternis lockt heute keinen hinter dem Ofen hervor. Auch die Tiere scheinen sich zurückgezogen zu haben. Kein Vogelsang ist zu hören, kein Zwitschern und auch kein Rascheln im Laub. Kein Muhen, kein Bellen, kein Ziegengemecker. Kein Kindergeschrei, kein Autorauschen in der Ferne, ja noch nicht einmal das leise Grollen eines Flugzeugs am Himmel. Rundum absolute Stille.


Ich staune jedes Mal, wie schnell sich alles verändert. Als ich das letzte Mal diesen Weg gegangen bin, knackten und raschelten die abgefallenen Blätter fröhlich unter meinen Schritten. Nun ist das Laub bereits zu einer braunen Masse zusammengefallen, die nass und schwer auf dem Weg liegt. Der Zersetzungsprozess hat bereits eingesetzt. Wie Skelette ragen jetzt die kahlen Äste in den grauen Himmel. Die bunten Herbstfarben haben nun den monochromatischen Farbtönen des Winters Platz gemacht: Braun, Grau und dunkles Grün dominieren die Landschaft.


Alles um mich spricht von Rückzug und Reduktion, von Verwesung, Tod und Vergänglichkeit. Doch das hat nichts zu bedeuten, denn Tod, so wie wir ihn verstehen, gibt es in der Natur nicht. Der Tod ist nur eine weitere Form der Veränderung im ewigen Kreislauf des Lebens. Die toten Blätter sind schon dabei, den Humus zu bilden für das neue Leben, das in Kürze wieder entstehen wird.

Ich gehe lange durch den Wald, bin fasziniert von der Stille und den zerfallenden Formen der Pflanzen. Ich komme mir vor wie in einem Märchenwald, den ich ganz für mich habe, fühle mich ausserhalb von Raum und Zeit. Auf einmal drückt das Abendlicht durch und färbt alles mit einem warmen, rotgoldenen Farbstich ein. Ich schaue verwundert in den Himmel, der nach wie vor grau ist. Woher kommt das Licht? Ein paar Minuten nur dauert dieser Zauber, dann verschwindet das goldene Licht wieder ins Nichts. Augenblicklich setzt darauf die blau-schwarze Nacht ein, und mit ihr kommt kalter Wind auf. Meine Kamera blinkt verzweifelt "Mehr Licht! Mehr Licht!". Zeit, nach Hause zu gehen.




Als es schon fast ganz dunkel ist, höre ich plötzlich laute Geräusche hinter den Tannen. Die Pferdefrau führt ihren alten Hengst und das Shetland-Pony spazieren. Ich erkenne sie von weitem. In der Dunkelheit sieht sie mich nicht. Wenig später überholt mich ein Pärchen, das wohl ebenfalls noch etwas frische Luft schnappen wollte. Diese Lebenszeichen haben jetzt etwas Tröstliches und Heimeliges. Ich bin also doch nicht ganz alleine im Zauberwald. Am Waldrand angekommen, schaue ich auf das Dorf hinunter, wo die Strassenlaternen angegangen sind. In vielen Fenstern brennt warmes Licht, und einige Häuser sind bereits mit weihnächtlichen Lichterketten geschmückt. Als ich den Hang hinuntergehe, begleitet mich der melodiöse Gesang eines Nachtvogels auf meinem Weg.


Montag, 7. November 2016

Spaziergang in Weisslingen - Herbst

“Was ist heute bloss los mit mir? Schon nach wenigen Schritten komme ich ins Keuchen und Schwitzen, dabei geht es noch nicht einmal richtig bergauf. Ich bin diesen Weg doch schon hundertmal gegangen, mühelos, bin ich etwa krank? Oder macht mir die Sonne zu schaffen, die heute plötzlich den Nebel verdrängt hat, unerwartet und ungewohnt warm. Vielleicht bin ich auch einfach nicht fit genug? Ich sollte häufiger spazieren gehen, vielleicht sogar wieder ein bisschen joggen... Überhaupt sollte ich mehr Sport treiben… Anderseits sollte ich auch mehr ausruhen, einfach nichts tun, mit Nero auf dem Sofa liegen und einfach nur aus dem Fenster schauen... Ich sollte mich sowieso mehr dem Kater widmen, der ist ja immer alleine und wird auch nicht jünger... Vielleicht sollte ich auch wieder einmal etwas für meine persönliche Weiterentwicklung tun. Und das Soziale mehr pflegen, klar. Harfe üben sollte ich auch wieder häufiger, ein bisschen mehr Disziplin diesbezüglich würde viel bringen. Gut, dass ich die Kamera dabei habe, immerhin das. Anschliessend sollte ich die Fotos aber auch gleich runterladen und bearbeiten, sonst... Auch wegen des Gewichts wäre es übrigens gut, häufiger spazieren zu gehen, immer wenn ich frei habe eine Runde, vielleicht grad als erstes am Morgen. Dann Harfe üben. Dann der Rest. Sollte ich. Ich sollte, ich sollte, ich sollte.”


So marschiere ich durch diesen Herbstnachmittag, unruhig, angespannt und gehetzt. Meine Gedanken jagen einander, jagen mich, und ich schaffe es heute nicht, sie zur Ruhe zu bringen. Dann fällt mein Blick auf den Weiher weiter unten auf der anderen Seite der Strasse, und auf die Bäume in den herbstlichen Farben. Das Wetter ist zwar nicht so klar, aber vielleicht hat es trotzdem Spiegelungen im Wasser? Ich nehme die Direttissima über den Acker bis hinunter an die Kantonsstrasse, warte auf eine Lücke im Verkehr, überquere sie und bin nach wenigen Schritten am Brauiweiher.


Tatsächlich, da sind sie, die Spiegelungen, auf die ich spekuliert hatte. Schon an der ersten Bucht, die mir freie Sicht aufs Wasser ermöglicht, sehe ich sie. Sie sind nicht so farbenprächtig wie letztes Jahr, dafür zarter, verträumter, romantischer vielleicht. Ich beginne zu fotografieren.


Dann gehe ich weiter zur nächsten Bucht, wo ich neue Spiegelungen entdecke, die mich fesseln. Ich fotografiere weiter. Stück um Stück umrunde ich so langsam den Weiher, nehme mir an jeder Bucht Zeit zu schauen, Spiegelungen zu entdecken und zu fotografieren. Die Gedanken sind wie weggeblasen, die innere Unruhe und die Erschöpfung auch.


Bis ich ans Ende des Uferwegs komme, bin ich ziemlich durchfroren, denn diese Seite des Tales liegt bereits im Schatten. Ich kämpfe mich durch Matsch, Schilf und Gestrüpp, überquere erneut die Strasse und wandere - jetzt wieder mühelos und leicht - den gegenüberliegenden Hang hoch, wo ich mich auf meine Lieblingsbank am Waldrand setzte und mich von der Sonne aufwärmen lasse. Ich schaue in die Weite. Mein Kopf ist wohltuend leer und still.





Mit einem Mal kommen Windböen auf, wie aus dem Nichts. Ich erschrecke über laute Geräusche hinter mir im Wald: es tönt wie Regen, wie die ersten grossen Regentropfen eines Platzregens - plopp plopp plopp. Aber es ist kein Regen, es sind die vielen Blätter, die jetzt von den Bäumen fallen - plopp plopp plopp.


Ich mache mich auf den Heimweg. Vor der grossen Pappel bleibe ich stehen. Die kleinen Blätter tanzen wild und rascheln im Wind wie Kastagnetten, die Rückseiten glänzen silbern im Abendlicht. Der Wind wird stärker und kälter, ich gehe rasch weiter. Der Himmel ist voller goldener Buchenblätter, die verspielt durch die Luft wirbeln. Dazwischen segeln vereinzelt grosse, dürre Ahornblätter auf die Wiese und auch auf mich. Der Blätterregen bringt mich zum Lachen, auch der dichte Laubteppich auf dem Pfad, der meine Schritte weich abfedert.


Die Bise weht immer kräftiger, meine Schritte werden schneller. Die "Ich sollte"-Gedanken von vorhin kommen mir wieder in den Sinn. Doch jetzt es sind bloss noch zwei Worte. So sehr ich mich auch anstrenge, die Fortsetzung des Satzes bleibt aus. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich alles unbedingt und so dringend noch machen sollte. “Ich sollte, ich sollte, ich sollte” skandiere ich nun lächelnd im Takt meiner Schritte. Die drei Silben bilden die Marschmusik, die meinen Trab durch den Wald begleitet. Wie Tambouren feuern sie rhythmisch meinen Lauf an, "ichsollteichsollteichsollte", bis ich im Windschatten der ersten Häuser angekommen bin.


Fast schon zu Hause sehe ich vor dem Haus einer älteren Nachbarin einen Kombi mit Umzugskartons stehen. Ich warte, bis jemand aus der Türe rauskommt, und frage, ob Anne-Rose auszieht. Sie hatte letztes Jahr mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, schien sich aber gut erholt zu haben, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. “Sie ist nicht mehr gut auf den Beinen, das kam ganz plötzlich”, erzählt mir ihr Schwiegersohn. “Und da gerade eine Wohnung im Alterswohnheim freigeworden ist, hat sie sich entschieden, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, umzuziehen.” Ich bin betroffen, lasse Grüsse ausrichten und nehme mir vor, sie nächstens dort besuchen zu gehen (ich sollte, ich sollte).



Dann habe ich mich für einen Achtsamkeits-Workshop angemeldet, mein Interesse an einem Lesezirkel bestätigt, der gerade am Entstehen ist, ein Trampolin zum Testen bestellt, eine Freundin aus meiner Kindheit angeschrieben, die ich übers Internet wiedergefunden habe. Und den Rest des Abends verbringe ich mit Nero und einem guten Buch gemütlich und genussvoll auf dem Sofa.

Montag, 11. Juli 2016

Santiago de Compostela


Dass ich einmal so in Santiago ankommen würde, so ganz profan mit Flugzeug und Mietauto, hätte ich auch nicht gedacht, als ich vor 6 Jahren mit Pilgern begonnen hatte.



Über Freunde habe ich 2010 zum ersten Mal vom Jakobsweg gehört. Ein halbes Jahr später habe ich  mich selber auf den Weg gemacht. Eine Woche lang bin ich damals alleine von Konstanz bis an den Vierwaldstättersee gepilgert. Diese eine Woche ist mir so eingefahren, dass ich beschlossen habe, jedes Jahr ein Stück auf dem Jakobsweg weiterzugehen bis nach Santiago de Compostela. Aber wie so oft, wenn man sich etwas vornimmt, kam es anders. Jahr für Jahr kam wieder etwas dazwischen, so dass sich meine Pilgerreise immer weiter nach hinten verschoben hat.
Jetzt bin ich trotzdem in Santiago angekommen, wenn auch völlig anders als erwartet: nicht alleine, sondern mit dem Fotokünstler, nicht pilgernd, sondern um ihn bei den Vorbereitungen für eine Fotoreise zu unterstützen, die er im Herbst leiten wird.


Schon bei unserem ersten Stadtbesuch sehe ich sie, die "richtigen" Pilger, wie sie ankommen auf der Plaza de Obradoiro vor der mächtigen Kathedrale, dem Endziel aller Jakobswege. Ihr Glück strahlt durch die Pelerine hindurch, weder Regen noch Kälte können ihnen etwas anhaben. Unter all den Menschen in dieser Stadt - Einheimische, Studenten, Touristen und Wallfahrer - sind sie hier die wahren Könige.
Santiago gehört den Pilgern, sie sind die Helden, das Herz und der Motor dieser Stadt. Ununterbrochen kommen sie an, in Gruppen, auf Fahrrädern, zu zweit oder alleine, Junge und Alte, aus dem In- und Ausland. Das Glück, das sie ausstrahlen, wirkt ansteckend. Ich freue mich mit ihnen, auch wenn sich unter die Freude etwas Wehmut mischt darüber, dass ich nicht auch zu dieser Pilgerschar dazugehöre, dass ich nicht ebenfalls pilgernd angekommen bin.


Die Altstadt von Santiago gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie ist riesengross und wunderschön erhalten. So können wir uns, zusammen mit den anschaulichen Informationen im neuen Pilgermuseum, gut vorstellen, wie es hier im Mittelalter zu- und hergegangen ist. Das muss damals nicht viel anders gewesen sein als heute.
Die Stimmung in Santiago ist offen und lebhaft, gleichzeitig aber auch ruhig und entspannt. Vielleicht liegt es daran, dass die gesamte Altstadt autofrei ist. Vielleicht liegt es aber auch an den Pilgern, die seit Jahrhunderten das Stadtbild prägen. In ihrer Ausstrahlung unterscheiden sie sich von den anderen Menschen hier. Mit ihrer unaufdringlichen Präsenz scheinen mehr in sich zu ruhen, und weniger nach aussen orientiert zu sein als die anderen Besucher.


Am letzten Tag kommen wir beim Abendessen mit zwei von ihnen ins Gespräch. Die beiden sitzen ein paar Tische weiter und unterhalten sich angeregt. Später erzählen sie uns, dass sie erst vor ein paar Stunden in Santiago angekommen sind. Überdreht von der Erschöpfung, dem Wein und der Freude schwenken sie ihre Pilgerurkunden, reden und lachen etwas zu laut. Die Köpfe der anderen Gäste und des Kellners drehen sich mehrmals nach ihnen um. Auch wir schauen wie gebannt hin. Ich freue mich über ihre Freude und frage sie nach ihrer Geschichte, die sie gerne mit uns teilen. Ich gratuliere ihnen dafür, dass sie dieses grosse Unterfangen gewagt und geschafft haben. Und wieder mischt sich Wehmut unter meine Mit-Freude und Bewunderung.


Der Faszination des Pilgerns kann sich hier niemand entziehen. Und so beschliesse ich nochmals und ganz fest, spätestens nächstes Jahr meine eigene Pilgerreise wieder aufzunehmen. Kaum habe ich den Entschluss gefasst, kommen auch gleich Ängste und Zweifel auf: Werde ich wirklich den Mut aufbringen und es durchziehen? Liegt das körperlich überhaupt noch drin? Schliesslich bin ich ja unterdessen doch einige Jahre älter geworden. Macht das denn noch Sinn, nach all den Jahren? Und wenn ich dann enttäuscht bin? Und wann soll das noch in meinen Kalender passen? Und und und...



Auch am Flughafen begegnen wir wieder Pilgern. Wie wir warten sie auf den Flug, der sie zurück in ihre Heimat und ihren Alltag bringen wird. Da ist der ältere Herr: strahlend und selbstbewusst trägt er seine grosse Holzmuschel um den Hals, stellt sie der ganzen Welt zur Schau. Seine Frau ist ihm entgegengeflogen und zusammen kehren sie nun heim. Sein Stolz auf die vollbrachte Leistung ist unübersehbar. Da sind die zwei Freundinnen: sie plappern ununterbrochen aufgeregt über ihre Pilgerwoche mit Hund, während sie hinter uns am Check-in-Schalter anstehen. Die eine der beiden ist trotz der Kälte barfuss, mit wundgelaufenen Füssen. In der Abflughalle dann eine weitere Pilgerin, alleine mit ihrem grossen Rucksack: Sie ist schon etwas älter und steht etwas verloren in der grossen Abflughalle herum, unschlüssig, was sie tun soll. Sie wirkt etwas verwirrt, als sei sie gerade erst von einem Traum erwacht und noch gar nicht richtig in der Realität angekommen. Ob sie sich Zuhause wieder zurechtfinden wird nach dieser langen, aussergewöhnlichen Reise? Ob sie sich etwas von dem, was sie in den letzten Wochen oder Monaten erfahren und erlebt hat, in ihrem Alltag erhalten kann? Die gewonnenen Erkenntnisse auf ihrem weiteren Lebensweg umsetzen kann? Das Bild stimmt mich nachdenklich, und im Stillen wünsche ich ihr ganz viel Glück und Kraft. Denn von allen schwierigen Etappen des Jakobswegs ist der Rückweg wahrscheinlich die allerschwierigste.


Montag, 13. Juni 2016

Fast ein Haiku

Nero eingerollt 
maunzt und zuckt im Schlaf
kalte Asche im Kamin
grauer Regentag


Samstag, 28. Mai 2016

"Gschtört"

"Gschtört" - auf Schweizerdeutsch ein oft verwendetes Wort. Man kann es sowohl auf Dinge oder Situationen als auch auf Personen bezogen benutzen. Sagt man von einer Person, sie sei "gschtört", heisst das so viel wie: sie ist bescheuert, hat eine Macke, eine Meise, einen Dachschaden, hat einen an der Klatsche, einen Sprung in der Schüssel, eine Ecke ab, einen Flick weg, eine Schraube locker, einen Vogel, ist verrückt, spinnt, ist nicht ganz normal usw.
Erstaunlich, wie viele Synonyme es gibt, um unser Urteil über eine Person auszudrücken, die sich nicht so verhält, wie wir es erwarten.


Ein lauer Abend, ungezwungenes Beieinandersitzen unter Nachbarn, entspanntes Plaudern über dies und jenes. Im Laufe des Gesprächs kommen wir auf die neu zugezogene Nachbarin zu reden. Sie lebt zurückgezogen, macht ihr eigenes Ding und passt ebenso wenig ins Dorfbild wie ich. Irgendwann fällt dann leichtfertig der Spruch: "Die esch halt echli gschtört" - die ist eben ein bisschen verrückt.


"Mmh, verrückt... verrückt..." meint darauf mein Nachbar Rolf bedächtig "Ist denn nicht jeder irgendwie verrückt?"
In der Runde wird es lange still, nachdenklich, jeder überprüft das jetzt für sich. Wir kommen alle zum selben Schluss. Nach einer gewissen Zeit antwortet jemand "Ja, das stimmt". Eigentlich ist jeder irgendwie gschtört.




(Es ist derselbe Rolf vom Blogeintrag "Sehnsucht II")

Sonntag, 22. Mai 2016

Jahreszeiten

Gedankenkreisen treibt mich heute früh aus dem Bett, und gleich darauf die Lust, den frühen Sommertag zu geniessen. Gleich nach dem Frühstück ziehe ich los, so lange es noch ruhig ist und nicht zu heiss. Dieses Wochenende gibt's einen ersten Vorgeschmack auf den Sommer. Also nutze ich die frühe Morgenstunde, um raus in die Natur zu gehen, bevor Wandergruppen, Paarläufer, Hündeler und Sportler auf die Feld- und Waldwege strömen.


Im Moment teile ich die ganze Pracht um mich herum nur mit ein paar Tieren: Gleich aus dem Haus die Katze, die dem betagten Nachbarn um die Beine streicht, in ein stilles Zwiegespräch vertieft, das nur die beiden verstehen. Auf dem Feld das alte Islandpony, das an die Stallmauer lehnt und die warmen Sonnenstrahlen geniesst. Am Hang, fast schon beim Waldrand oben, drei junge Kühe auf der Weide, die mich ängstlich und interessiert zugleich beäugen. Und oben, auf dem Pfad am Waldrand, eine grosse Weinbergschnecke, die ihre Schleimspur quer über meinen Weg zieht. Und dann am Waldrand, nach den ersten Bäumen, unterschiedlich bunte Käfer, die lustig herumfliegen - einer landet auf der Jacke, die ich um meine Taille gebunden habe. Bevor ich seine Farbe, zwischen weinrot und rostbraun, fertig bewundern kann, hebt er auch schon wieder ab.


Die Gedanken kreisen weiter. Doch das Wetter ist heute zu schön, um darüber trübsinnig oder ärgerlich zu werden. Die Gedanken sind heute halt einfach da und benötigen anscheinend meine Aufmerksamkeit. Ich lasse es zu und geniesse die Natur um mich herum trotzdem, so gut es eben geht.

Es sind Gedanken zum Wetter, wie es meine Stimmung beeinflusst, und zu den Jahreszeiten, wie sie mit dem Leben korrelieren. Pünktlich zu meinem 50. Geburtstag ist mir nämlich bewusst geworden, dass ich in den Herbst meines Lebens eingetreten bin. Was nicht heisst, dass ich den Frühling und die damit verbundene Aufbruchstimmung nicht geniesse. Aber mein Grundgefühl ist, dass für mich die Zeit des Älterwerdens, des Zurücktretens vor den jüngeren Generationen und vielleicht auch ein bisschen der Reife begonnen hat.


Jede Jahreszeit hat ihre Bedeutung, ihr Grundgefühl, ihren Sinn. Der Frühling ist für mich die Zeit des Aufbruchs, des Aufbaus, der Kraft und Energie, des Entdeckens, Ausprobierens und der Expansion. Der Sommer ist geprägt von Fülle, Üppigkeit und Genuss. Im Herbst kommt dann die Zeit, die Ernte einzufahren, die Vorräte aufzufüllen. Es ist die Zeit der letzten goldenen, warmen und wunderschön bunten Tage, aber auch die der ersten Kälteeinbrüche. Im Winter dann wird es dunkel, kalt und still. Es ist die Zeit des Rückzugs ins gemütliche Heim, für den, der kann.


Bei meinen Spaziergängen in Weisslingen, im Wald und entlang der Felder, erlebe ich die Jahreszeiten in der Natur unmittelbar mit, fotografiere sie oft, bestaune sie und spüre immer wieder, wie eng auch ich mit ihnen verbunden bin.

Auch im Wald kommt die neue Jahreszeit nicht von einem Tag auf den anderen, sondern kündigt sich mit unscheinbaren Zeichen lange im Voraus an, schon viel früher als vom Kalender festgelegt. Irgendwann sind dann die Zeichen so offensichtlich und unübersehbar, dass wir feststellen: Jetzt ist sie da, die neue Jahreszeit! In Wahrheit hat sie aber schon viel früher begonnen.

Genauso ist mir klar geworden, dass ich unwiderruflich älter geworden und in meinen dritten Lebensabschnitt getreten bin. Zufälligerweise passierte das um meinen 50. Geburtstag herum, sogar fast aufs Loch genau (wie wir Schweizer sagen). Ich erinnere mich noch an den unsicheren Blick des jungen Arztes, den ich im ersten Moment nicht deuten konnte. Ich hatte ihn gefragt, woher diese Fussschmerzen kommen könnten und widersprach all seinen möglichen Erklärungen, bis er dann damit herausrückte, dass es wahrscheinlich gar keinen bestimmten Grund gäbe, sondern dass es ganz einfach Verschleisserscheinungen sind, die mit dem Alter kommen. Im ersten Moment war ich perplex, "Alter"? Jetzt wusste ich die Unsicherheit in seinen Augen richtig zu interpretieren, verkniff mir ein Grinsen und schluckte innerlich. Da war er also, der Punkt, an dem die Zeichen unübersehbar geworden sind und meinen Eintritt in den Herbst meines Lebens markiert hat. Das war ungefähr einen Monat vor meinem Geburtstag.


Ich stelle also fest, dass ich irgendwann meinen Zenit überschritten habe, wenn man das Leben als Rad betrachtet. Nun ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, mich abzufinden mit verpassten Chancen und glücklich zu sein über die genutzten. Es ist Zeit, definitiv Abschied zu nehmen von den Träumen, die sich wohl nicht mehr erfüllen werden, mich mit dem Unabänderlichen zu versöhnen, und zu hoffen, dass mir noch genügend Zeit bleibt, um das Wesentliche und die schönen Momente zu geniessen. Und es ist Zeit, mir noch die Wünsche zu erfüllen, die sich noch erfüllen lassen, im Wissen, dass meine Zeit endlich ist.


Solchen Gedanken hänge ich nach, als ich zuoberst im Wald bin. Da schaue ich kurz auf und sehe über mir die hell erleuchteten Wipfel der hohen Bäume, die den Weg säumen, wie Säulen einer lichtdurchfluteten Kathedrale. Und ich nehme die unterschiedlichsten Vogelstimmen wahr, die mit ihrem vollen, melodiösen Gesang diesen Raum füllen. Mit einem Mal spüre ich Weite und Zeitlosigkeit - eine Art Unendlichkeit in Zeit und Raum, in der auch mein kleines, unscheinbares Leben seinen Platz und seine Bedeutung hat. In diesem Moment fühle mich getragen und gehalten von einer Dimension, die alles übersteigt und alles umfasst.
Vielleicht gehört auch das zum Älterwerden.



Die Kamera habe ich an diesem Sonntagmorgen nicht mitgenommen. Die Fotos hier stammen von einem anderen schönen Spaziergang rund um den Pfäffikersee, vorletztes Wochenende, als der Frühling auf seinem Höhepunkt war. 

Freitag, 29. April 2016

Spaziergang in Weisslingen - Aprilwetter

"Vergangene Woche hat es zweimal geschneit und zweimal war es fast sommerlich heiss. Und dazwischen? Kann mich gar nicht mehr erinnern. Heute sind wir wieder auf der winterlichen Seite, sauber aufs Wochenende hin, wie letztes Wochenende auch schon..."


"So so, ich bin also eigen... eigen... wie er das wohl gemeint hat? Aber auch nicht mehr als andere, oder? Ich werde bei Gelegenheit nachbohren, obwohl ich sehr wahrscheinlich keine nützliche Antwort darauf erhalten werde. Es würde mich halt nur interessieren, auf welche Art eigen, und ob er sich dabei auf etwas Konkretes bezieht."


"Na ja, vielleicht ist es schon ein bisschen eigen, sich auf fremde Grundstücke zu schleichen, um perfekt geordnete Gerätschaften zu fotografieren. Oder fasziniert in schlammige Pfützen zu starren und die Linien, Muster und Farben darin zu untersuchen."


"In Weisslingen ist das allerdings sehr eigen. Hier ist es schon eigen, im Wald spazieren zu gehen, und dann noch allein, und dann noch mit einer Kamera! Das ist der Gipfel der Eigenheit. Aber für mich zählt das jetzt nicht richtig, denn ein paar Kilometer weiter in der Stadt würde sich niemand darum scheren. Glaube ich zumindest."


"Unglaublich, wie intensiv grün jetzt alles ist! So viele Nuancen an Grün gibt es nur im Frühling! Der Frühling ist grün und gehört den Vögeln - wunderschön, wie die jetzt singen, selbst bei diesem grauen, kalten und nassen Wetter."


"Ich weiss ja, dass er es nicht negativ gemeint hat. Trotzdem... eigen... Dabei führe ich doch ein ziemlich unspektakuläres Leben, bemühe mich, die gesellschaftlichen Normen einzuhalten, mich möglichst regelkonform zu verhalten und niemandes Gefühle zu verletzen. Total langweilig. Und dennoch eigen... Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, ich finde es einfach nur verwunderlich..."


"Was gäbe ich drum, mich mal von aussen sehen zu können. Anstatt in die Vergangenheit zu reisen und einen Tag bei den Römern zu verbringen, wäre es doch auch höchst interessant, sich einmal von aussen zu erleben. Mich einmal so wahrzunehmen, wie andere es tun... Obwohl, wenn ich mir das so überlege... Vielleicht besser doch nicht..."


"Die Froschschutznetze sind schon weggeräumt! Erstaunlich. Ist denn die Laichzeit schon vorbei? Das kann doch fast nicht sein. Wahrscheinlich hat es hier einfach keine Frösche mehr, alle ausgestorben, vertrieben durch die intensive Landwirtschaft und überfahren auf der Kantonsstrasse. Ich habe ohnehin noch nie einen Frosch entlang der Netze und erst recht nicht in diesen weissen Eimern gesehen, die sie retten sollen. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass Frösche ausgerechnet da reinhüpfen würden. Wahrscheinlich stellen sie diese Netze eh nur pro forma auf, weil sie von Gesetzes wegen müssen. Ich habe jedenfalls noch nie jemanden gesehen, der diese Eimer kontrolliert und leert. Vielleicht tue ich ihnen jetzt aber auch Unrecht. Vielleicht ist das wieder eine bösartige Unterstellung von mir, und ganz früh morgens oder nachts eilen ein paar tierliebende freiwillige Helfer mit den Eimern zwischen Wald und Weiher hin und her..."


"Heute bin ich aber auch wirklich gar nicht gut drauf. Grantig. Kein Wunder, bei diesem Sauwetter. Ich hätte halt schon gerne ein bisschen den Frühling genossen, jetzt wo alles so schön blüht... Anderseits ist es ja im Grunde auch jedes Jahr wieder das Gleiche... Anderseits verregnet es ihn auch jedes Jahr von neuem..."


Plötzlich muss ich lachen, über mich selber, über mein schlecht gelauntes Geschnatter im Kopf, das mich jetzt schon den ganzen Weg begleitet: einerseits, anderseits, aber, hingegen, vielleicht, wahrscheinlich und wieder anderseits. Grummel, grummel. Ich lache über mein griesgrämiges Motzen, das ich auf einmal tatsächlich ein wenig wie von aussen betrachten kann. Und mit dem Lachen kommen auch Leichtigkeit und Frische zurück. Ich habe sogar das Gefühl, plötzlich besser zu sehen! Alles um mich herum erscheint klarer und leuchtender, als ob jemand die Fenster frisch geputzt hätte.
Jetzt nehme ich auch den wunderschönen Vogelgesang wieder wahr, der laut vom Wald her erklingt: Da zwitschert und krächzt und pfeift und trällert und säuselt und hämmert und piepst und rattert und schnattert und schreit und gurrt und flötet und zirpt es um die Wette. Der wunderschöne Vogelgesang erfüllt den weiten Raum und die Stille dieses Sonntagmorgens. Und ich mittendrin, mit all dem verbunden.
Ich lasse mich vom Vogelgesang auf dem Rückweg begleiten. Das Murren im Kopf ist zwar immer noch da, doch ist es ruhiger geworden, entspannter und wird mit jedem Schritt leiser. Und so kehre ich doch noch erfrischt, erfüllt und lächelnd nach Hause zurück, gerade noch rechtzeitig, bevor es zu schneien beginnt.


Montag, 14. März 2016

Finnland-ABC - Teil 3, N wie Nordlicht

Vieles liesse sich noch berichten über meine Erlebnisse und Erfahrungen, die ich in Finnland gemacht habe. Zum Beispiel könnte ich erzählen von unseren ersten Gehversuchen mit den Schneeschuhen am Rande einer weiten, weissen Ebene nahe unserer Unterkunft. Als es hiess, wir sollten sicherheitshalber 10 Meter Abstand voneinander halten, denn wir befänden uns auf einem gefrorenen See. Das Eis würde ziemlich sicher halten, aber trotzdem sei es besser, wenn nicht zu viel Gewicht an einem Punkt zusammenkommen würde...



Ich könnte erzählen von der Zen-Fotografie des Fotokünstlers, die die Teilnehmer in ähnlicher Weise beschäftigt hat wie die fotografische Malerei, über die ich im letzten Blogeintrag geschrieben habe.


Ich könnte erzählen von Schneetrollen und Eisskulpturen, und dass wir bis nach Russland rübergesehen haben. Von einem menschenleeren, gespenstisch wirkenden Skigebiet mit laufenden Skiliften und einer coolen Schneebar. Als wir ankamen, war der Angestellte gerade dabei, den Schnee von Tischen und Bänken zu fegen. Popmusik schallte aus den Lautsprechern, Fackeln und Lichter brannten, die Terrasse wirkte einladend und war bereit für den Gästeansturm - bloss, wo waren diese? Die wenigen Gebäude rund herum schienen verlassen. Die Strasse war leer und die wenigen Autos auf dem Parkplatz sahen aus, als ob sie schon lange dastünden. Ausser drei jugendlichen Snowboardern, die einmal kurz unseren Weg gekreuzt hatten, sah ich weit und breit keine Menschenseele. Als ich mich wieder umdrehte, war auch der Angestellte weg. Es war, als ob die Menschheit vom Erdboden verschluckt worden wäre.
Wer fährt hier Ski? Wer trifft sich hier zum Après-Ski? Kann man ohne Menschenmenge, ohne Gedränge an der Theke, ohne Stress beim Bestellen, ohne herumschreien zu müssen, um verstanden zu werden, ohne anzustehen und angerempelt zu werden, ohne Stimmengewirr, Gläsergeklimper und lautem Lachen Party feiern?


Ich könnte berichten von der Mühsal beim An- und Ausziehen der Schneeschuhe, der klobigen Winterstiefel und der viel zu vielen Kleiderschichten, die ich aus lauter Angst vor der Kälte trotzdem immer wieder anzog. Von den ruhigen Heimfahrten in der Dämmerung. Vom Heimkommen im gemütlichen Blockhaus, wo das Feuer bereits brannte und die Sauna schon lief. Vom guten Wein und dem leckeren Essen, das in der angenehmen Gesellschaft noch besser schmeckte. Von der Schwierigkeit bei der Fotoauswahl für die abendliche Bildbesprechung. Von all den vielen, vielen Fotos, die ich tagsüber gemacht hatte - vom Ärger über mich selber, dass ich immer noch so viele, viel zu viele Fotos mache. Habe ich denn in all den Miksang-Workshops nicht endlich gelernt, entspannt zu bleiben und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Und mich nicht von meiner Begeisterung mitreissen zu lassen? Oder von der Panik, ich könnte etwas verpassen? Und ich könnte erzählen vom Urteilen und Beurteiltwerden, durch andere und durch mich selber.

Ich könnte erzählen vom Besuch auf der Rentierfarm bei den Samen, wo es mir zum ersten Mal überhaupt gelang, eine 16 GB Speicherkarte vollzufotografieren. Ich konnte es zunächst kaum glauben, dachte an einen Fehler, dass ich die Bilder des Vortags nicht gelöscht hatte, oder an einen Kameradefekt. Aber nein, ich hatte tatsächlich einfach die Speicherkarte vollfotografiert. Inmitten der nie stillstehenden Rentierherde vergass ich jegliche Grenzen und jegliches Mass - ja, ich vergass mich selber und ging völlig auf in dem, was ich tat. Ich hatte einfach unglaublichen Spass, diese schönen Tiere paparazziartig mit der Kamera einzufangen. Und trotzdem gibt es von diesem "Foto-Rausch" kaum ein Bild, das mir wirklich gefällt.


Ich könnte über die Fahrt mit den Schlittenhunden erzählen. Vom Wolfsmann mit seinem für Deutschsprachige unpassenden Namen Susi. Ich kann mich noch genau ans mulmige Gefühl erinnern, bevor es losging: Würde ich mich an all seine Anweisungen und Ermahnungen erinnern können? Mit einem Fuss leicht bremsen, mit beiden fest, um ganz zu stoppen, locker in die Knie gehen, um nicht von den Kufen zu rutschen, natürlich in die Kurven liegen, mich konzentrieren auf die Hunde, abspringen und mitrennen, wenn es bergauf geht, rechtzeitig aufspringen, bevor es wieder runtergeht... Ich erinnere mich genau an dieses Gefühl von ängstlicher Vorfreude. Und an den Spass, den es machte, als es dann wirklich losging! Die Hunde waren kaum zu halten. Voller Power zogen sie unsere Schlitten durch die verschneite Landschaft. Wenn sie durstig waren, tranken sie im Laufen, indem sie sich einen Happen Schnee vom Wegrand schnappten, und ihren Kot schissen sie ohne stehenzubleiben einfach in den Fahrtwind. Ich erinnere mich an die Kraft und den Zug, den diese Hunde hatten, und an ihre Blicke, die sie mir zuwarfen, wenn ich etwas falsch gemacht hatte. Ich erinnere mich an das ungestüme, unaufhörliche Bellen und ihren kaum zu bremsenden Drang zum Laufen, immer wieder loszulaufen und weiterzulaufen.


Die Schlittenfahrt mit den Huskies war eines der Highlights dieser Reise. Jetzt, aus der Distanz, bleibt nebst der freudigen Erinnerung aber auch das mulmige Gefühl zurück, das ich damals schon hatte, sowohl bei den Schlittenhunden als auch auf der Rentierfarm. So spassig es auch war, so wichtig solche Besuche als Geldeinnahmequelle auch sein mögen, so gut die Tiere auch gehalten werden: Irgendwie fühlt es sich falsch an, wenn Kultur und Tradition zur Touristenattraktion werden. Und irgendwie fühlt es sich falsch an, wenn Menschen sich die Tiere untertan machen.




Ich könnte weitererzählen von gefrorenen Steinen und dem wilden, dunklen Wasser der Moorgebiete. Und vom Glück, eine bis anhin mir unbekannte Landschaft in Begleitung all dieser netten Menschen erlebt zu haben. Von der Dankbarkeit und der Lust wiederzukommen, vielleicht im Herbst, wenn die Rentiere frei in den Wäldern äsen, wenn der Boden mit Beeren und Pilze übersät ist, wenn Holzboote auf den Seen schaukeln, man die Lachse springen sieht und Vogelgesang die Waldeinsamkeit erfüllt.


Die Reise wurde von Diamir organisiert und wird nächstes Jahr wieder angeboten, auch in Zusammenarbeit mit der Leica Akademie. Gesamtleiter ist der Fotokünstler Hermann J. Netz (http://www.netzphoto.com), Reiseleiter vor Ort ist Chris White (siehe 1. Teil meines Finnland-Berichts). Gewohnt haben wir unweit von Kuusamo, in einem der gemütlichen Blockhäuser von Tuula und Heikki, die uns zwei wunderbare Gastgeber waren. Die Unterkunft trägt den unaussprechlichen Namen Oivangin Lomakartano, das dazugehörige Restaurant heisst Ukonkivi. Tuulas Küche war einfach phantastisch! Die Hundeschlittenfahrt war nicht inbegriffen, aber ich bin froh, dass Monika nicht lockerliess und uns zu Susi und seiner Huskyfarm führte.
Jede Reise ist einmalig und unwiederholbar. So wie ich sie erlebt habe, kann ich die ganze Fotoreise uneingeschränkt und wärmstens weiterempfehlen - selbst für Gfrörli, wie wir in der Schweiz kälteempfindliche Leute wie mich nennen. Ich würde sie jedenfalls sofort wieder mitmachen.
Weitere Fotos der Reise sind auf meiner Flickr-Seite im Album Finnland zu sehen.
Obwohl ich mehrere Kameras dabei hatte, habe ich fast ausschliesslich und am liebsten mit der Leica Q fotografiert.


Und zum Schluss noch N wie Nordlichter: Da es meistens bewölkt war, haben wir kein Nordlicht gesehen. Ich hatte das ursprünglich weder erwartet, noch hatte es mich sonderlich interessiert. Doch diejenigen unter uns, die schon einmal Nordlichter erlebt hatten, waren voll ansteckender Begeisterung! Sie können überwältigend schön sein, und wer sie einmal gesehen hat, wird süchtig danach, so sagte man mir. Bei Chris habe ich mir ein Keramiklämpchen "Northern Lights" gekauft. Dazu gehört ein Teelicht aus Plastik, das batteriebetrieben ist und in wechselnden Farben leuchtet. Mein "Northern Lights" Lämpchen steht jetzt auf dem Nachttischlein. Und wenn mich ab und zu die Sehnsucht nach dem Norden packt, lösche ich das Licht und schalte es ein. Und dann beginnt in der Dunkelheit meines Schlafzimmers das Nordlicht zu tanzen.