Sonntag, 30. April 2017

Frühling - (halber) Spaziergang in Weisslingen

Nicht der Spaziergang war halb, doch ungefähr in der Mitte hat sich der Akku meiner Kamera geleert, und einen Ersatzakku habe ich nicht mitgenommen. Den Ärger darüber lasse ich aber schnell wieder los und beschliesse, die schönen Eindrücke um mich herum einfach "nur" wahrzunehmen und zu geniessen. Es lässt sich ohnehin nicht alles mit der Kamera einfangen.



Die schiere Mannigfaltigkeit der Vogelstimmen zum Beispiel nicht, die mich vom Beginn weg begleitet: fröhliches Gezwitscher am Waldrand, flötende Melodien im Wald, kehliger Gesang auf der Anhöhe, spitze Schreie über dem Feld, krächzen in den Baumkronen, schnattern am Teich und viele mehr. Mein Wortschatz ist zu beschränkt, um diese ganze Vielfalt an Tönen widerzugeben, die jetzt den Himmel erfüllen.



Die Schmetterlinge, die auf dem Weg vor mir herflattern, ebensowenig. Auch wenn ich sie auf ein Foto bannen könnte, ihr zartes Wesen könnte ich nicht einfangen. Und ist es aber nicht gerade das, was mich am Schmetterling berührt, seine sanfte Schwerelosigkeit, sein verspielter Tanz im Lufthauch, seine berührende Zerbrechlichkeit und Flüchtigkeit?


Gerne würde ich auch all die anderen Tiere um mich herum fotografieren, doch die meisten kann ich ja noch nicht einmal sehen. Selbst der Frosch, der bei meinem Herannahen ins Gras springt, sehe ich nicht mehr. Und dabei weiss ich doch, dass er da ist, unmittelbar vor meinen Augen. Doch mein Sehsinn ist begrenzt und er ist Meister der Tarnung.
Ich weiss, dass auch andere Tiere da sind, weil ich sie höre. Überall rascheln sie: laut, frech und unbekümmert die Vögel, kaum hörbar hingegen die grösseren Tiere, Rehe zum Beispiel oder Wildschweine. Meist verrät sie nur ein einzelnes, kurzes, leises Knacken, gefolgt von absoluter Stille. Wie jetzt, im Dickicht jenseits des Baches. Ich kann nur erahnen, dass ich ein grösseres Tier überrascht haben muss, sicher bin ich mir nicht. Ich warte vollkommen still, konzentriert und ganz Ohr. Ich möchte es sehen, aber ich weiss, dass sich das Tier, sobald es sich vom ersten Schrecken eingefangen hat, vollkommen lautlos fortbewegen wird. Doch dann, ein kurzes, helles Aufblitzen zwischen den dunklen Tannen - die Reflexion des Sonnenlichts im Fell - verrät mir den weglaufenden Fuchs. Nur für den Bruchteil eines Augenblicks sehe ich ihn, dann löst sich die Erscheinung auf und der Fuchs wird wieder eins mit dem Wald. Kein Foto kann den Zauber solcher Momente je widergeben.



Ich verlasse jetzt den Hauptweg und folge dem versteckten Trampelpfad zur Waldlichtung. Wie ein Spalier umsäumen Jungbäume den Weg, frisch, hell und zart leuchtet das Grün ihrer Blätter. Wie federnd weich geht es sich auf dem Waldboden. Das Laub, das ihn bedeckt, ist mittlerweile zu einem Teppich aus kleinsten Bröseln zerfallen. Dann erreiche ich die kleine Lichtung, und auf einmal ist es vollkommen still, kein Zwitschern, kein Knacken, kein Rascheln. Ich bleibe stehen, schaue mich um, horche. Diese plötzliche Stille ist fast schon etwas unheimlich. Ich fühle mich in einer anderen Welt, auf einem verlassenen Planeten, umgeben von nichts als undurchdringlichem Wald. Und gleichzeitig fühlt es sich an, als ob tausend Augen mich beobachten würden. Das tun sie sicher: eine ganze Tier- und Pflanzenwelt beobachtet mich hier. Auch wenn ich mich noch so lautlos zu bewegen meine, sie wissen alle längst Bescheid.



Diese kurzen, zauberhaften Momente sind es, die mir bleiben, und gerade diese sind es auch, die ich fotografisch so nicht festhalten kann, und die ich auch nicht in Worte fassen kann. Meine Worte und Bilder kommen mir plump vor dagegen. Ich kann den Bach fotografieren, aber sein verspieltes Gurgeln nicht, auch nicht das erfrischende Plätschern des kleinen Wasserfalls widergeben, wo mir der Fuchs erschienen ist.



Ich verlasse den Wald und mache mich auf den Rückweg. Auf der Wiese empfängt mich das Zirpen von Zikaden - jetzt schon? Es hört sich an wie Sommer und ist doch erst April. Die Zweige und Äste sind noch gut sichtbar und noch nicht ganz von Blättern verdeckt. Wie lange noch? Die neuen Blätter wachsen schnell. Bald werden sie Baumkronen und Büsche gänzlich eingehüllt haben. Ungeachtet der wiederkehrenden Wintereinbrüche schreitet der Frühling unbeirrt voran.


Nur ein einziges Mal reut mich der fehlende Akku wirklich: So gern hätte ich versucht, das unfassbar strahlende, intensiv leuchtende Gelb des Rapsfeldes einzufangen, ein Farbton, für den es keine Worte gibt. Kein Gelb ist so unglaublich einzigartig gelb wie das von blühenden Rapsfeldern an einem schönen Frühlingstag wie diesem.