Montag, 14. März 2016

Finnland-ABC - Teil 3, N wie Nordlicht

Vieles liesse sich noch berichten über meine Erlebnisse und Erfahrungen, die ich in Finnland gemacht habe. Zum Beispiel könnte ich erzählen von unseren ersten Gehversuchen mit den Schneeschuhen am Rande einer weiten, weissen Ebene nahe unserer Unterkunft. Als es hiess, wir sollten sicherheitshalber 10 Meter Abstand voneinander halten, denn wir befänden uns auf einem gefrorenen See. Das Eis würde ziemlich sicher halten, aber trotzdem sei es besser, wenn nicht zu viel Gewicht an einem Punkt zusammenkommen würde...



Ich könnte erzählen von der Zen-Fotografie des Fotokünstlers, die die Teilnehmer in ähnlicher Weise beschäftigt hat wie die fotografische Malerei, über die ich im letzten Blogeintrag geschrieben habe.


Ich könnte erzählen von Schneetrollen und Eisskulpturen, und dass wir bis nach Russland rübergesehen haben. Von einem menschenleeren, gespenstisch wirkenden Skigebiet mit laufenden Skiliften und einer coolen Schneebar. Als wir ankamen, war der Angestellte gerade dabei, den Schnee von Tischen und Bänken zu fegen. Popmusik schallte aus den Lautsprechern, Fackeln und Lichter brannten, die Terrasse wirkte einladend und war bereit für den Gästeansturm - bloss, wo waren diese? Die wenigen Gebäude rund herum schienen verlassen. Die Strasse war leer und die wenigen Autos auf dem Parkplatz sahen aus, als ob sie schon lange dastünden. Ausser drei jugendlichen Snowboardern, die einmal kurz unseren Weg gekreuzt hatten, sah ich weit und breit keine Menschenseele. Als ich mich wieder umdrehte, war auch der Angestellte weg. Es war, als ob die Menschheit vom Erdboden verschluckt worden wäre.
Wer fährt hier Ski? Wer trifft sich hier zum Après-Ski? Kann man ohne Menschenmenge, ohne Gedränge an der Theke, ohne Stress beim Bestellen, ohne herumschreien zu müssen, um verstanden zu werden, ohne anzustehen und angerempelt zu werden, ohne Stimmengewirr, Gläsergeklimper und lautem Lachen Party feiern?


Ich könnte berichten von der Mühsal beim An- und Ausziehen der Schneeschuhe, der klobigen Winterstiefel und der viel zu vielen Kleiderschichten, die ich aus lauter Angst vor der Kälte trotzdem immer wieder anzog. Von den ruhigen Heimfahrten in der Dämmerung. Vom Heimkommen im gemütlichen Blockhaus, wo das Feuer bereits brannte und die Sauna schon lief. Vom guten Wein und dem leckeren Essen, das in der angenehmen Gesellschaft noch besser schmeckte. Von der Schwierigkeit bei der Fotoauswahl für die abendliche Bildbesprechung. Von all den vielen, vielen Fotos, die ich tagsüber gemacht hatte - vom Ärger über mich selber, dass ich immer noch so viele, viel zu viele Fotos mache. Habe ich denn in all den Miksang-Workshops nicht endlich gelernt, entspannt zu bleiben und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Und mich nicht von meiner Begeisterung mitreissen zu lassen? Oder von der Panik, ich könnte etwas verpassen? Und ich könnte erzählen vom Urteilen und Beurteiltwerden, durch andere und durch mich selber.

Ich könnte erzählen vom Besuch auf der Rentierfarm bei den Samen, wo es mir zum ersten Mal überhaupt gelang, eine 16 GB Speicherkarte vollzufotografieren. Ich konnte es zunächst kaum glauben, dachte an einen Fehler, dass ich die Bilder des Vortags nicht gelöscht hatte, oder an einen Kameradefekt. Aber nein, ich hatte tatsächlich einfach die Speicherkarte vollfotografiert. Inmitten der nie stillstehenden Rentierherde vergass ich jegliche Grenzen und jegliches Mass - ja, ich vergass mich selber und ging völlig auf in dem, was ich tat. Ich hatte einfach unglaublichen Spass, diese schönen Tiere paparazziartig mit der Kamera einzufangen. Und trotzdem gibt es von diesem "Foto-Rausch" kaum ein Bild, das mir wirklich gefällt.


Ich könnte über die Fahrt mit den Schlittenhunden erzählen. Vom Wolfsmann mit seinem für Deutschsprachige unpassenden Namen Susi. Ich kann mich noch genau ans mulmige Gefühl erinnern, bevor es losging: Würde ich mich an all seine Anweisungen und Ermahnungen erinnern können? Mit einem Fuss leicht bremsen, mit beiden fest, um ganz zu stoppen, locker in die Knie gehen, um nicht von den Kufen zu rutschen, natürlich in die Kurven liegen, mich konzentrieren auf die Hunde, abspringen und mitrennen, wenn es bergauf geht, rechtzeitig aufspringen, bevor es wieder runtergeht... Ich erinnere mich genau an dieses Gefühl von ängstlicher Vorfreude. Und an den Spass, den es machte, als es dann wirklich losging! Die Hunde waren kaum zu halten. Voller Power zogen sie unsere Schlitten durch die verschneite Landschaft. Wenn sie durstig waren, tranken sie im Laufen, indem sie sich einen Happen Schnee vom Wegrand schnappten, und ihren Kot schissen sie ohne stehenzubleiben einfach in den Fahrtwind. Ich erinnere mich an die Kraft und den Zug, den diese Hunde hatten, und an ihre Blicke, die sie mir zuwarfen, wenn ich etwas falsch gemacht hatte. Ich erinnere mich an das ungestüme, unaufhörliche Bellen und ihren kaum zu bremsenden Drang zum Laufen, immer wieder loszulaufen und weiterzulaufen.


Die Schlittenfahrt mit den Huskies war eines der Highlights dieser Reise. Jetzt, aus der Distanz, bleibt nebst der freudigen Erinnerung aber auch das mulmige Gefühl zurück, das ich damals schon hatte, sowohl bei den Schlittenhunden als auch auf der Rentierfarm. So spassig es auch war, so wichtig solche Besuche als Geldeinnahmequelle auch sein mögen, so gut die Tiere auch gehalten werden: Irgendwie fühlt es sich falsch an, wenn Kultur und Tradition zur Touristenattraktion werden. Und irgendwie fühlt es sich falsch an, wenn Menschen sich die Tiere untertan machen.




Ich könnte weitererzählen von gefrorenen Steinen und dem wilden, dunklen Wasser der Moorgebiete. Und vom Glück, eine bis anhin mir unbekannte Landschaft in Begleitung all dieser netten Menschen erlebt zu haben. Von der Dankbarkeit und der Lust wiederzukommen, vielleicht im Herbst, wenn die Rentiere frei in den Wäldern äsen, wenn der Boden mit Beeren und Pilze übersät ist, wenn Holzboote auf den Seen schaukeln, man die Lachse springen sieht und Vogelgesang die Waldeinsamkeit erfüllt.


Die Reise wurde von Diamir organisiert und wird nächstes Jahr wieder angeboten, auch in Zusammenarbeit mit der Leica Akademie. Gesamtleiter ist der Fotokünstler Hermann J. Netz (http://www.netzphoto.com), Reiseleiter vor Ort ist Chris White (siehe 1. Teil meines Finnland-Berichts). Gewohnt haben wir unweit von Kuusamo, in einem der gemütlichen Blockhäuser von Tuula und Heikki, die uns zwei wunderbare Gastgeber waren. Die Unterkunft trägt den unaussprechlichen Namen Oivangin Lomakartano, das dazugehörige Restaurant heisst Ukonkivi. Tuulas Küche war einfach phantastisch! Die Hundeschlittenfahrt war nicht inbegriffen, aber ich bin froh, dass Monika nicht lockerliess und uns zu Susi und seiner Huskyfarm führte.
Jede Reise ist einmalig und unwiederholbar. So wie ich sie erlebt habe, kann ich die ganze Fotoreise uneingeschränkt und wärmstens weiterempfehlen - selbst für Gfrörli, wie wir in der Schweiz kälteempfindliche Leute wie mich nennen. Ich würde sie jedenfalls sofort wieder mitmachen.
Weitere Fotos der Reise sind auf meiner Flickr-Seite im Album Finnland zu sehen.
Obwohl ich mehrere Kameras dabei hatte, habe ich fast ausschliesslich und am liebsten mit der Leica Q fotografiert.


Und zum Schluss noch N wie Nordlichter: Da es meistens bewölkt war, haben wir kein Nordlicht gesehen. Ich hatte das ursprünglich weder erwartet, noch hatte es mich sonderlich interessiert. Doch diejenigen unter uns, die schon einmal Nordlichter erlebt hatten, waren voll ansteckender Begeisterung! Sie können überwältigend schön sein, und wer sie einmal gesehen hat, wird süchtig danach, so sagte man mir. Bei Chris habe ich mir ein Keramiklämpchen "Northern Lights" gekauft. Dazu gehört ein Teelicht aus Plastik, das batteriebetrieben ist und in wechselnden Farben leuchtet. Mein "Northern Lights" Lämpchen steht jetzt auf dem Nachttischlein. Und wenn mich ab und zu die Sehnsucht nach dem Norden packt, lösche ich das Licht und schalte es ein. Und dann beginnt in der Dunkelheit meines Schlafzimmers das Nordlicht zu tanzen.