Dass ich einmal so in Santiago ankommen würde, so ganz profan mit Flugzeug und Mietauto, hätte ich auch nicht gedacht, als ich vor 6 Jahren mit Pilgern begonnen hatte.
Über Freunde habe ich 2010 zum ersten Mal vom Jakobsweg gehört. Ein halbes Jahr später habe ich mich selber auf den Weg gemacht. Eine Woche lang bin ich damals alleine von Konstanz bis an den Vierwaldstättersee gepilgert. Diese eine Woche ist mir so eingefahren, dass ich beschlossen habe, jedes Jahr ein Stück auf dem Jakobsweg weiterzugehen bis nach Santiago de Compostela. Aber wie so oft, wenn man sich etwas vornimmt, kam es anders. Jahr für Jahr kam wieder etwas dazwischen, so dass sich meine Pilgerreise immer weiter nach hinten verschoben hat.
Jetzt bin ich trotzdem in Santiago angekommen, wenn auch völlig anders als erwartet: nicht alleine, sondern mit dem Fotokünstler, nicht pilgernd, sondern um ihn bei den Vorbereitungen für eine Fotoreise zu unterstützen, die er im Herbst leiten wird.
Santiago gehört den Pilgern, sie sind die Helden, das Herz und der Motor dieser Stadt. Ununterbrochen kommen sie an, in Gruppen, auf Fahrrädern, zu zweit oder alleine, Junge und Alte, aus dem In- und Ausland. Das Glück, das sie ausstrahlen, wirkt ansteckend. Ich freue mich mit ihnen, auch wenn sich unter die Freude etwas Wehmut mischt darüber, dass ich nicht auch zu dieser Pilgerschar dazugehöre, dass ich nicht ebenfalls pilgernd angekommen bin.
Die Altstadt von Santiago gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie ist riesengross und wunderschön erhalten. So können wir uns, zusammen mit den anschaulichen Informationen im neuen Pilgermuseum, gut vorstellen, wie es hier im Mittelalter zu- und hergegangen ist. Das muss damals nicht viel anders gewesen sein als heute.
Die Stimmung in Santiago ist offen und lebhaft, gleichzeitig aber auch ruhig und entspannt. Vielleicht liegt es daran, dass die gesamte Altstadt autofrei ist. Vielleicht liegt es aber auch an den Pilgern, die seit Jahrhunderten das Stadtbild prägen. In ihrer Ausstrahlung unterscheiden sie sich von den anderen Menschen hier. Mit ihrer unaufdringlichen Präsenz scheinen mehr in sich zu ruhen, und weniger nach aussen orientiert zu sein als die anderen Besucher.
Der Faszination des Pilgerns kann sich hier niemand entziehen. Und so beschliesse ich nochmals und ganz fest, spätestens nächstes Jahr meine eigene Pilgerreise wieder aufzunehmen. Kaum habe ich den Entschluss gefasst, kommen auch gleich Ängste und Zweifel auf: Werde ich wirklich den Mut aufbringen und es durchziehen? Liegt das körperlich überhaupt noch drin? Schliesslich bin ich ja unterdessen doch einige Jahre älter geworden. Macht das denn noch Sinn, nach all den Jahren? Und wenn ich dann enttäuscht bin? Und wann soll das noch in meinen Kalender passen? Und und und...