So marschiere ich durch diesen Herbstnachmittag, unruhig, angespannt und gehetzt. Meine Gedanken jagen einander, jagen mich, und ich schaffe es heute nicht, sie zur Ruhe zu bringen. Dann fällt mein Blick auf den Weiher weiter unten auf der anderen Seite der Strasse, und auf die Bäume in den herbstlichen Farben. Das Wetter ist zwar nicht so klar, aber vielleicht hat es trotzdem Spiegelungen im Wasser? Ich nehme die Direttissima über den Acker bis hinunter an die Kantonsstrasse, warte auf eine Lücke im Verkehr, überquere sie und bin nach wenigen Schritten am Brauiweiher.
Tatsächlich, da sind sie, die Spiegelungen, auf die ich spekuliert hatte. Schon an der ersten Bucht, die mir freie Sicht aufs Wasser ermöglicht, sehe ich sie. Sie sind nicht so farbenprächtig wie letztes Jahr, dafür zarter, verträumter, romantischer vielleicht. Ich beginne zu fotografieren.
Dann gehe ich weiter zur nächsten Bucht, wo ich neue Spiegelungen entdecke, die mich fesseln. Ich fotografiere weiter. Stück um Stück umrunde ich so langsam den Weiher, nehme mir an jeder Bucht Zeit zu schauen, Spiegelungen zu entdecken und zu fotografieren. Die Gedanken sind wie weggeblasen, die innere Unruhe und die Erschöpfung auch.
Mit einem Mal kommen Windböen auf, wie aus dem Nichts. Ich erschrecke über laute Geräusche hinter mir im Wald: es tönt wie Regen, wie die ersten grossen Regentropfen eines Platzregens - plopp plopp plopp. Aber es ist kein Regen, es sind die vielen Blätter, die jetzt von den Bäumen fallen - plopp plopp plopp.
Ich mache mich auf den Heimweg. Vor der grossen Pappel bleibe ich stehen. Die kleinen Blätter tanzen wild und rascheln im Wind wie Kastagnetten, die Rückseiten glänzen silbern im Abendlicht. Der Wind wird stärker und kälter, ich gehe rasch weiter. Der Himmel ist voller goldener Buchenblätter, die verspielt durch die Luft wirbeln. Dazwischen segeln vereinzelt grosse, dürre Ahornblätter auf die Wiese und auch auf mich. Der Blätterregen bringt mich zum Lachen, auch der dichte Laubteppich auf dem Pfad, der meine Schritte weich abfedert.
Fast schon zu Hause sehe ich vor dem Haus einer älteren Nachbarin einen Kombi mit Umzugskartons stehen. Ich warte, bis jemand aus der Türe rauskommt, und frage, ob Anne-Rose auszieht. Sie hatte letztes Jahr mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, schien sich aber gut erholt zu haben, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. “Sie ist nicht mehr gut auf den Beinen, das kam ganz plötzlich”, erzählt mir ihr Schwiegersohn. “Und da gerade eine Wohnung im Alterswohnheim freigeworden ist, hat sie sich entschieden, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, umzuziehen.” Ich bin betroffen, lasse Grüsse ausrichten und nehme mir vor, sie nächstens dort besuchen zu gehen (ich sollte, ich sollte).
Dann habe ich mich für einen Achtsamkeits-Workshop angemeldet, mein Interesse an einem Lesezirkel bestätigt, der gerade am Entstehen ist, ein Trampolin zum Testen bestellt, eine Freundin aus meiner Kindheit angeschrieben, die ich übers Internet wiedergefunden habe. Und den Rest des Abends verbringe ich mit Nero und einem guten Buch gemütlich und genussvoll auf dem Sofa.