Sonntag, 23. Juni 2013

Unbekanntes Bekanntes

Ich sitze auf der Veranda meiner Bed&Breakfast-Unterkunft in Boulder, Colorado, USA, am ersten Tag meines zweiwöchigen Aufenthalts. Ich weiss noch nicht, was ich von dem Ganzen hier halten soll...


Ich merke, wie mein Verstand auf Hochtouren läuft, wie er versucht, all die Eindrücke zu sortieren und einzuordnen. Er möchte sie so schnell wie möglich in eine Schublade stecken, diese dann fest zumachen und mit einem eindeutigen Etikett versehen: gefällt mir / gefällt mir nicht / gut / schlecht / erinnert mich an / ist wie / usw. Als ob ich das könnte - und das nach einem Tag! Und trotzdem merke ich, wie angestrengt mein Denken daran arbeitet, ratter ratter ratter.


Doch mein Kopf schafft es nicht. Vielleicht ist es wegen der Erschöpfung von der langen Reise, vielleicht weil ich noch durch der Zeitumstellung verwirrt bin, vielleicht weil die neuen Eindrücke schlicht zu viele sind - meine Gedanken kommen jedenfalls nicht nach. Sie drehen sich im Kreis ohne zu einem Schluss zu kommen und lassen mich noch etwas länger in diesem schwebeartigen Zustand des Nichtwissens verharren. Zum Glück! Es zwar unangenehm, wenn so vieles neu und unbekannt ist, verwirrend, beunruhigend, teilweise sogar ein wenig beängstigend - deshalb arbeitet ja mein Denken so intensiv daran, diesen Zustand zu ändern. Doch nichts verschliesst mich mehr vor der Welt als dieses unselige Schubladisieren, Abhaken und Beurteilen meiner Wahrnehmungen. Und nichts verhilft mir zu mehr Offenheit, reicheren Eindrücken, vielseitigeren Erlebnissen und allgemein mehr Lebensfreude als das reine Wahrnehmen ohne zu (vermeintlich) wissen und zu werten. In diesem Zustand fühle ich mich ganz und rund, in mir ruhend und gleichzeitig eins mit der Welt, die mich umgibt.


Genau um diesen seligen Zustand des Nichtwissens und Nichturteilens geht es auch in Miksang. Präsent sein, so nennen sie ihn in der tibetisch-asiatischen Tradition. Ich bin gespannt, wie lange dieser Zustand anhält.